Die saisonale Migration einiger Fledermausarten ist in mehrfacher Hinsicht ein faszinierendes Verhalten. Gemessen an Gewicht und Körpergröße gilt beispielsweise der Zug der zwischen 12 und 22 Gramm schweren Kleinabendsegler (Nyctalus leisleri) von Ost- und Mitteleuropa in wärmere Gefilde in Italien oder Frankreich zu den erstaunlichsten Energieleistungen im Tierreich. Wo genau die Tiere dabei entlang fliegen, wo sie unterwegs stoppen und wie lange sie für bestimmte Abschnitte ihrer Route benötigen, war bislang nicht bekannt. „Wir konnten bislang nur verzeichnen, dass eine Fledermaus, die wir etwa in Brandenburg mit einem Ring versehen haben, zufällig von Kolleginnen oder Kollegen in Italien oder Frankreich in einem Tagesquartier gefunden wurde“, erklärt der Fledermausspezialist und Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie am Leibniz-IZW, Prof. Christian Voigt. „Daher statten wir in einem aktuellen Projekt Kleinabendsegler mit Sendern aus, die jede Nacht nur einige wenige Signale abgeben. So ließ sich das Gewicht der Sender und somit die Belastung für die Tiere minimieren. Die stündlich abgegebenen Signale werden über das Mobilfunknetz erfasst. Über den Standort der Masten, die ein ‚beep‘ aufschnappen, können wir die Position der Fledermaus ableiten und ihre Flugrouten nachvollziehen.“
Voigt und seine Arbeitsgruppe rekonstruierten auf diese Weise den Zug mehrerer Kleinabendsegler im August 2024, darunter auch jenen eines 17 Gramm schweren Weibchens vom südlichen Brandenburg bis in die Nähe von Parma. Ihr Weg in Richtung Winterquartier führte über München, Garmisch-Partenkirchen, den Comer See, Mailand und Parma –innerhalb von nur fünf Tagen flog es über Sachsen, die Tschechische Republik, den Bayrischen Wald und München nach Garmisch-Partenkirchen in den Alpenraum, wurde dann in der Gegend von Innsbruck geortet und tauchte als nächstes am Comer See in Italien auf. Von dort aus erreichte sie kurze Zeit später Mailand und Parma, wo es sich seitdem aufhält. Das Weibchen ist nur eines von mehreren Individuen, sich von Brandenburg aus auf dem Weg Richtung Süden gemacht haben. „Unser Kleinabendseglerweibchen flog mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Präzision in Richtung Süden, wo sie sich mutmaßlich mit einem dort dauerhaft dort lebenden Männchen verpaaren und den Winterschlaf verbringen wird“, berichtet Dr. Carolin Scholz, Projektmitarbeiterin am Leibniz-IZW. In den Apenninen und in der Po-Ebene gibt es Bestände ortstreuer männlicher Kleinabendsegler, die saisonal um die Gunst der ankommenden Weibchen buhlen. Im Frühjahr fliegen die weiblichen Tiere wieder zurück, um in den Wäldern Mittel- oder Osteuropas ihre Jungen zu gebären und großzuziehen.
Der Kleinabendsegler ist eine mittelgroße, waldbewohnende Fledermausart, die auf naturbelassene Laub- und Mischwälder mit einem hohen Angebot an Baumhöhlen-, Spalten- und Rindenquartieren angewiesen ist. In diesen Höhlen legen sie bevorzugt ihre Wochenstuben an, die rund 20 bis 50 Weibchen umfassen können. Kleinabendsegler haben schmale und langgestreckte Flügel, die für einen schnellen Langstreckenflug perfekt geeignet sind. Auch außerhalb des saisonalen Zuges gilt der Kleinabendsegler als besonders schneller und wendiger Flugkünstler. Mit Geschwindigkeiten von teilweise über 40 km/h jagt er über dem Kronendach im offenen Luftraum nach Motten, Zweiflüglern wie Schnaken und Zuckmücken sowie nach Netz- und Köcherfliegen.
„Durch ihre Bevorzugung von naturbelassenen Wäldern als Standorte für die Wochenstuben und die Nahrungssuche sowie durch den saisonalen Zug sind Kleinabendsegler von der Intensivierung der Forstwirtschaft sowie der Windenergieproduktion besonders betroffen“, erklärt Voigt. „Aufgeräumte Forsten bieten weder genug Nahrung noch Unterschlupf und die Windenergieproduktion in Wäldern beeinträchtigt ihren Lebensraum auf vielfältige Weise, etwa durch zusätzlichen Verlust an Waldlebensraum und durch Kollisionsrisiko in ihrem Jagdgebiet über den Baumwipfeln.“ Zusätzlich sind die Kleinabendsegler auf ihren nun erwiesenermaßen schnell und zielstrebig durchflogenen Zugrouten durch Windenergieanlagen gefährdet, welche genau innerhalb dieser Routen liegen, ergänzt Dipl.-Biol. Uwe Hoffmeister, Fledermausexperte aus Brandenburg. „Um die Art zu schützen, benötigen wir genauere Kenntnisse über die Wanderrouten der Kleinabendsegler. Ihre saisonalen Wanderungen, auf denen sie große Entfernungen zurücklegen können, machen zudem deutlich, wie wichtig die internationale Zusammenarbeit bei den Schutzbemühungen ist. Dass die Standorte für neue Windenergieanlagen mit Bedacht gewählt werden, ist entscheidend für den Schutz von Fledermäusen auf nationaler und internationaler Ebene.“ Daher werden die Forschenden in Zukunft noch viele Daten besenderter Kleinabendsegler auswerten und so genauere Einblicke in die Welt des Langstreckenflugs von Fledermäusen erlangen.
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)