Zellen, die Grundbausteine von Pflanzen und Organismen, sind durch Membranen in viele kleine, spezialisierte Teilbereiche aufgeteilt. Zwischen diesen Bereichen müssen zelluläre Materialien und Moleküle beständig ausgetauscht werden. Mechanismen, die diese Membranen überwinden, wurden bisher hauptsächlich der Arbeit von spezialisierten Schneideproteinen zugeschrieben. Die Arbeitsgruppe um Professor Dr. Roland Knorr am Zentrum für Biochemie der Universität zu Köln zeigt nun zusammen mit einem internationalen Team, wie kleine zelluläre Flüssigkeitströpfchen, sogenannte biomolekulare Kondensate, Membranen auch ohne diese spezialisierten Schneideproteinen überwinden können. Dieser neuentschlüsselte Prozess ist essenziell für das Überleben von Pflanzen. Die Studie „Biomolecular condensates mediate bending and scission of endosome membranes“ wurde in Nature veröffentlicht.
„Kondensate kann man sich etwa wie ein Tropfen aus Wasser vorstellen. Wie ein Wassertropfen auf einer Glasoberfläche legt sich das Kondensat auf die Membran“, erklärt Professor Knorr. Dieser Prozess wird „benetzen“ genannt. Da es sich bei einer Membran im Gegensatz zu Glas um ein sehr weiches Material handelt, führt die Benetzung durch das Kondensat dazu, dass sich die Membran verformt und das Tröpfchen umschließt. Eine Teamarbeit mit Kolleg*innen aus Peking, London, Freiberg, Tokio sowie Hongkong zeigt nun, dass diese Benetzung auch zum Abschneiden der Membran führen kann. „Im Gegensatz zu bisherigen Annahmen, sind dafür weitere, spezialisierte Schneideproteine nicht notwendig“, sagt Prof. Dr. Xiaofeng Fang von der Tsinghua Universität in Peking, der die Studie zusammen mit Prof. Knorr leitete.
Um dies nachzuweisen, untersuchte das Team das Benetzungsverhalten eines spezifischen Kondensates aus dem Protein FREE1, dass für das Überleben der Pflanze Ackerschmalwand, Arabidopsis thaliana, unabdingbar ist. Mit Hilfe einer Kombination aus umfangreichen Laborexperimenten, einem mathematischen Modell und Computersimulationen konnten die Forscher*innen zeigen, dass Kondensate große Kapillarkräfte auf Membranen ausüben kann. Damit wird das Kondensat nicht nur von einem Teil der Membran umschlossen, sondern schließlich auch zur gegenüberliegenden Seite hin abgeschnürt. Somit gelangt das Kondensat von einem Teil der Zelle in einen anderen und die Membran wird dabei in zwei Teile geschnitten.
Kondensate als zelluläre Schere
Kondensate in Zellen sind sehr klein und die Simulationen haben gezeigt, dass die Membranverformung nur Bruchteile von Sekunden dauert. Da es schwierig ist, diesen Prozess in lebenden Zellen zu verfolgen, haben die Wissenschaftler*innen den Schneidevorgang im Reagenzglas nachgebaut. Dafür wurde das Protein FREE1 aus Zellen isoliert und im Labor gereinigt. Auch ohne Zelle bildet das Protein FREE1 Kondensate. Diese wurden anschließend mit künstlich hergestellten, zellähnlichen Membranen in Kontakt gebracht: „In diesem Experiment liegen keine weiteren zellulären Komponenten wie zum Beispiel Schneideproteine vor. Damit konnten wir eindeutig zeigen, dass FREE1-Kondensate ausreichend sind, um Membranen zu schneiden“, erklärt Dr. Katharina Sporbeck, Koautorin und Postdoktorandin in der Arbeitsgruppe von Prof. Knorr.
Die aktuelle Studie zeigt zusätzlich, dass Scherenkondensate auch in Zellen von Säugetieren funktionieren, dass sie das Fehlen von spezialisierten Schneideproteinen ersetzen können und dass die Kondensat-Membran-Benetzung ein essenzieller Prozess für die zelluläre Stressbewältigung darstellt. Professor Knorr resümiert: „Damit ist es denkbar, dass Scherenkondensate in verschiedenen medizinisch relevanten Prozessen eine wichtige Rolle spielen. Die Autophagie zum Beispiel, ein zellinterner Recyclingprozess, ist wichtig bei Alterungsprozessen, in der Entwicklung von Krebs und für die Immunantwort. Jetzt arbeiten wir daran zu verstehen, welche Scherenkondensate Autophagie beeinflussen.“
Universität Köln
Originalpublikation:
Wang, Y., Li, S., Mokbel, M. et al. Biomolecular condensates mediate bending and scission of endosome membranes. Nature (2024). doi.org/10.1038/s41586-024-07990-0