Global scheint der Trend klar: Seit Jahren nimmt weltweit die Artenvielfalt in nahezu allen Tier- und Pflanzengruppen besorgniserregend ab. „Lokal ist dies etwas komplexer – hier spielen Faktoren vor Ort, wie beispielsweise der Verlust seltener Arten sowie die Ansiedlung neuer Arten, eine große Rolle für das Gesamtergebnis“, erklärt Prof. Dr. Peter Haase, Abteilungsleiter „Fließgewässerökologie und Naturschutzforschung“ am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt und fährt fort: „Ökosystemfunktionen – und die damit verbundenen Vorteile für uns Menschen – hängen immer mit der jeweiligen lokal vorhandenen Vielfalt und Häufigkeit von Arten zusammen und lassen sich schwer einfach ‚nach oben’ skalieren. Es ist daher unerlässlich, dass wir die unterschiedlichen Biodiversitäts-Trends in den einzelnen Ökosystemen kennen, um diese nachhaltig schützen zu können.“
Gemeinsam mit der bei Senckenberg und an der schwedischen Umeå Universität tätigen Erstautorin Francesca Pilotto hat Haase mit 64 weiteren internationalen Wissenschaftler*innen 161 Langzeitserien von 115 Standorten in 21 europäischen Ländern ausgewertet und in Verbindung zueinander gesetzt. Die über 6200 im Meer, an Land oder in Fließgewässern lebenden Arten aus neun biogeographischen Regionen umfassen acht taxonomische Gruppen, darunter Insekten, Vögel und Blütenpflanzen. Die Mehrzahl der untersuchten Standorte gehört zum globalen Netzwerk „Long-Term Ecological Research (LTER)“; einem internationalen Zusammenschluss zur langfristigen, interdisziplinären Umweltbeobachtung.
Die Auswertung der Forschenden zeigt, dass sich in weiten Teilen Mittel- und Südeuropas weder Artenvielfalt noch Anzahl der Arten und Individuen verändert haben, während in Nordeuropa ein Anstieg in Vielfalt und Artenzahlen zu beobachten ist. Letzteres ist u.a. auf die steigenden Temperaturen im Zuge des Klimawandels zurückzuführen. Zudem ist in weiten Teilen Europas ein Austausch der bisherigen Flora und Fauna durch neue, häufig an wärmere Gebiete angepasste Arten zu beobachten. Die Autor*innen geben diesbezüglich in ihrer Studie zu bedenken, dass die meisten Messreihen frühestens in den 1980er Jahren starteten und zu diesem Zeitpunkt bereits ein hoher Artenverlust zu verzeichnen war. „Je nach Großlebensraum und taxonomischer Gruppe können sich die Trends zudem deutlich unterscheiden. Während in marinen Gebieten beispielsweise in den untersuchten Zeiträumen die Vielfalt anstieg, ist dies für die Fließgewässer nicht zu beobachten. Die Diversität von am Gewässergrund lebenden Algen nahm im Schnitt ab, während Vögel und aquatische Wirbellose überraschenderweise einen Anstieg aufweisen. Wir sehen also, dass die Trends nicht immer Arten- oder Ökosystem-übergreifend gleich sind“, erläutert Pilotto.
Das Team fordert auf Grundlage ihrer Ergebnisse einen Ausbau der Langzeitmessreihen sowie eine Vereinheitlichung der europäischen Messmethoden in den verschiedenen Lebensräumen. „Nur so kann es uns gelingen, für die einzelnen Regionen und ihre Tier- und Pflanzenarten sinnvolle Schutzmaßnahmen zu entwickeln“, schließt Haase.
(Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseen)
Originalpublikation:
Francesca Pilotto et al. (2020): Meta-analysis of multidecadal biodiversity trends in Europe.
NATURE COMMUNICATIONS | https://doi.org/10.1038/s41467-020-17171-y