Der Name und das Kürzel des Viruseiweißes klingen unauffällig, doch seine Wirkung ist verheerend: Das Nonstructural Protein 1 (Nsp1) ist eine der zentralen Waffen, die das neuartige Coronavirus SARS-CoV-2 einsetzt, um sich im menschlichen Körper auszubreiten. Bekannt war dieser Virulenzfaktor seit dem Ausbruch des verwandten SARS-Coronavirus vor gut zehn Jahren: Nsp1, so fanden Wissenschaftler bereits damals heraus, legt im Wirt die Proteinproduktion an den Ribosomen lahm. Doch nun haben Forscher der LMU und des Universitätsklinikums Ulm herausgefunden, was Nsp1 so gefährlich macht, und beschreiben detailliert die Mechanismen des Angriffs. Die Arbeit ist im renommierten Wissenschaftsmagazin Science erschienen.
Ribosomen sind die molekularen Maschinen, die in jeder der biologischen Zellen für die Produktion von Proteinen sorgen. Dafür nutzen sie Abschnitte der sogenannten Messenger-RNA (mRNA) als Baupläne und setzen danach die Ketten aus Aminosäuren zusammen, die sich zu intakten Proteinen falten. Ribosomen bestehen aus zwei Untereinheiten; an der kleineren, der sogenannten 40S-Untereinheit, greift das Virenprotein Nsp1 an. Mit seinem einen Ende blockiert es ausgerechnet den Eingang des Kanals, in den sich normalerweise die Messenger-RNA mit dem genetischen Bauplan einfädelt. Die Folge: Die molekulare Maschine, die nach dem Ankoppeln einer zweiten Untereinheit die Aminosäureketten herstellt, steht still. Mit hochauflösender Cryo-Elektronenmikroskopie konnten die Wissenschaftler um Roland Beckmann, Professor am Genzentrum der LMU, genaue dreidimensionale Details davon zeigen, wie sich das Viren-Protein in eine spezielle Tasche des Ribosoms setzt, sich dort verklammert und den Kanal versperrt. In ihren Experimenten konnten die Forscher nachweisen, dass Nsp1 auch bestimmte Komplexe des vollständigen Ribosoms angreift.
Außerdem konnte das Team um Konstantin Sparrer vom Universitätsklinikum Ulm ergänzend zu den Münchner Forschern zeigen, dass der Shutdown der Proteinproduktion auch zu einem nahezu vollständigen Zusammenbruch einer entscheidenden Verteidigungslinie im Kampf gegen Virenangriffe führt: Er schaltet die angeborene Immunabwehr weitgehend aus, indem er eine dafür zentrale Signalkaskade blockiert. Mit ihren Ergebnissen, so hoffen die Wissenschaftler, ließen sich womöglich Wege finden, um das neuartige Coronavirus und damit die schwere Atemwegserkrankung COVID-19 zu bekämpfen. Denkbar, so schreiben sie, wäre der Einsatz eines Moleküls, das den Angriffspunkt des Virenproteins gleichsam maskiert. Die Tasche am Ribosom, in der sich Nsp1 festsetzt, hat nach bisherigen Erkenntnissen für die normale Proteinproduktion keine unverzichtbare Funktion.
(Ludwig-Maximilians-Universität München)
Originalpublikation:
Matthias Thoms, Robert Buschauer, Michael Ameismeier, Lennar Koepke, Timo Denk, Maximilian Hirschenberger, Hanna Kratzat, Manuel Hayn, Timur Mackens-Kiani, Jingdong Cheng, Jan Straub, Christina M. Stürzel, Thomas Fröhlich, Otto Berninghausen, Thomas Becker, Frank Kirchhoff, Konstantin M.J. Sparrer, Roland Beckmann:Structural basis for translational shutdown and immune evasion by the Nsp1 protein of SARS-CoV-2