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Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern und Frauen - Unterschiede bereits bei der Entstehtung

Bild von mandrakept auf Pixabay

Viele Krankheiten verlaufen bei Frauen und Männern anders. Schon bei der Entstehung gibt es häufig Unterschiede. Das gilt auch für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Woran das liegt, ist bisher nicht geklärt. Dr. Daniel Andergassen vermutet, dass ein Teil der Antwort auf den Geschlechtschromosomen liegt. Mit seiner eigenen Nachwuchsgruppe, die vom DZHK finanziert wird, will er seiner Vermutung in den nächsten sechs Jahren an der Technischen Universität München (TUM) nachgehen.

Das Unisex-Modell der biomedizinischen Forschung ist überholt. Bisher stehen Hormone im Verdacht, für die Unterschiede von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei Männern und Frauen verantwortlich zu sein. Aber welche Rolle spielen die Gene auf den Geschlechtschromosomen X und Y? Das Thema ist bisher wenig erforscht.


Der Molekularbiologe Daniel Andergassen will das ändern und hat es vor allem auf die sogenannten Escaper-Gene abgesehen. Das sind Gene, die einem ganz natürlichen Vorgang ein Schnippchen schlagen: Bei Frauen, die zwei X-Chromosomen haben, wird schon früh in der Entwicklung in jeder Zelle eines der beiden X-Chromosomen nach dem Zufallsprinzip „stumm“ geschaltet. Etwa drei Prozent der Gene, die Escaper-Gene, entkommen der Stummschaltung jedoch und bleiben auf beiden X-Chromosomen aktiv.

Frauen haben im Vergleich zu Männern also eine doppelte Dosis dieser Gene. Mit seiner Nachwuchsgruppe will sich der junge Wissenschaftler die Escaper-Gene genauer ansehen, um mehr darüber herauszufinden, was das Herz schützt. Denn Frauen scheinen einen etwas besseren Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu haben als Männer. Mit dem Alter ändert sich das allerdings – doch der Reihe nach:

Schützen Escaper-Gene Frauenherzen?
„Im ersten Schritt wollen wir eine Landkarte der Escaper-Gene erstellen. Und zwar für alle Organe, aber insbesondere für das Herz und auch für die Aorta“, erklärt Andergassen. „Beim Herzen kartieren wir sogar die Einzelzellebene, denn das Escaping ist zelltypspezifisch.“ Seine Hoffnung: „Wenn wir die Funktionen aller Escaper-Gene kennen und sich herausstellt, dass darunter wichtige Regulatoren mit kardioprotektiven Eigenschaften sind, hätte das bei Frauen natürlich einen doppelt so großen Effekt – und wir hätten eventuell vielversprechende therapeutische Kandidaten, welche für beide Geschlechter eingesetzt werden können.“

Wäre es also möglich, Escaper-Gene bei Männern künstlich hochzuregulieren und damit die gleiche Dosis wie bei Frauen zu erzeugen, um dadurch einen besseren Schutz vor Herzinfarkt zu haben? Das möchte Andergassen im Mausmodell überprüfen. Sein neuer Arbeitsplatz in München, das Institut für Pharmakologie und Toxikologie der TUM, bietet dafür die passenden molekularbiologischen Techniken.

Zuletzt forschte Andergassen in Boston am Harvard Stem Cell Institute. Und er kennt sich mit Epigenetik aus, also der Frage, ob und wie Gene abgelesen werden. Denn Gene steuern nicht nur, sie werden auch gesteuert und können an- und ausgeschaltet werden: so wie die Gene auf dem „stummen“ X-Chromosom.

Wieder „angeknipstes“ X-Chromosom könnte bei älteren Frauen Schutzmechanismus aushebeln
So könnte es während des Alterns oder nach einem Herzinfarkt dazu kommen, dass Gene auf dem inaktiven X-Chromosom reaktiviert werden. Das ist ein weiterer Punkt, der Andergassen interessiert: Könnte das „Anknipsen“ des gesamten X-Chromosoms bei älteren Frauen etwas damit zu tun haben, dass sie nicht mehr so gut vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen geschützt sind? Denn verändert sich durch das „angeknipste“ X-Chromosom die Zusammensetzung der Escaper-Gene, könnte das ein erhöhtes Risiko für Erkrankungen zur Folge haben. Das, so Andergassen, wäre eine alternative Erklärung zum bisherigen Hormonmodell, das besagt, dass Frauen vor der Menopause geschützter sind als nach der Menopause.

Andergassen bringt reichlich Erfahrung aus der Bioinformatik und der allel-spezifischen Sequenzierung mit – eine Methode, die nur wenige Labore beherrschen, die für die Identifizierung der Escaper-Gene aber unerlässlich ist. Mit seiner Nachwuchsgruppe besetzt er bewusst eine Nische: „Wir kombinieren Grundlagenforschung mit einem Krankheitsmodell und nutzen dabei experimentelle Ansätze, die rechnerische Lösungen erfordern.“

(Deutsches Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung e.V.)