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Mikroplastik bedroht Widerstandskraft mediterraner Korallen

Die Koralle Cladocora caespitosa auf den Columbretes-Inseln ist die einzige riffbildende Korallenart im Mittelmeer.
Die Koralle Cladocora caespitosa auf den Columbretes-Inseln ist die einzige riffbildende Korallenart im Mittelmeer. Sie schafft einen wichtigen Lebensraum für zahlreiche andere Arten – eine Rolle, die sonst nur von tropische Korallen bekannt ist. Diego Kersting, CSIC

In der Bucht der Illa Grossa, einer abgelegenen Insel im Meeresschutzgebiet vor der spanischen Küste, wächst die einzige riffbildende Steinkorallenart des Mittelmeeres: Cladocora caespitosa. Obwohl es keine lokale Verschmutzung gibt, zeigt eine Studie unter Leitung der Uni Kiel im Marine Pollution Bulletin, dass dieser streng geschützte Lebensraum überraschend stark durch Mikroplastik belastet ist. Die Kunststoffpartikel könnten Nahrungsaufnahme der Korallen beeinträchtigen sowie ihre Widerstandskraft gegen Hitzestress verringern. Die Forschenden wiesen zum Teil mehr als 6.000 Mikroplastikpartikel pro kg Sediment nach - ein Wert auffallend hoch im Vergleich zu anderen Mittelmeerregionen. 

„Unsere Ergebnisse zeigen deutlich, dass selbst unberührte und streng geschützte Lebensräume nicht vor Mikroplastikflut sicher sind“, sagt Dr. Lars Reuning vom Institut für Geowissenschaften an der Universität Kiel und Erstautor der Studie. „Cladocora caespitosa ist die einzige riffbildende Korallenart im Mittelmeer. Durch ihre Fähigkeit, unter gemäßigten Bedingungen Riffe zu bilden, schafft sie einen wichtigen Lebensraum für zahlreiche andere Arten – eine Rolle, die wir sonst nur von tropischen Korallen kennen. Zudem ist sie für uns ein wichtiger Indikator für Umweltveränderungen in der Region“, so Reuning weiter.

Eine Schlüsselart im Mittelmeer unter Druck

Während die meisten Korallenriffe in tropischen Gewässern vorkommen, bildet Cladocora caespitosa unter gemäßigten Bedingungen stabile Riffstrukturen – eine Seltenheit. Als sogenannte Schlüsselart schafft sie wertvolle dreidimensionale Lebensräume, in denen sich viele weitere Meeresbewohner ansiedeln. Sie ernährt sich sowohl über Photosynthese – durch die Symbiose mit mikroskopisch kleinen Algen – als auch über die Aufnahme von Plankton aus dem Wasser. Besonders in lichtarmen Wintermonaten oder bei Hitzestress ist diese sogenannte heterotrophe Nahrungsaufnahme entscheidend für ihr Überleben. Eine hohe Konzentration von Mikroplastikpartikeln könnte genau diesen flexiblen, für Stressphasen besonders wichtigen Ernährungsweg empfindlich stören – mit gravierenden Folgen für die Energieversorgung und Stressresistenz der Koralle. 

Ein entlegener Hotspot der Plastikverschmutzung

Für ihre neue Studie nahmen die Forschenden, vor allem Wissenschaftler des spanischen Institut Torre de la Sal Aquaculture (CSIC), Sedimentproben an fünf Standorten innerhalb der vulkanischen Caldera von Illa Grossa und werteten diese in den Laboren an der Universität Kiel und am Helmholtz-Zentrum Hereon aus. Die Korallen selbst wirkten dabei wie ein physikalisches Sieb: Je dichter die Kolonie, desto kleiner die zurückgehaltenen Partikel – ein Hinweis auf hydrodynamisch gesteuerte Anreicherung. Im Durchschnitt identifizierten sie 1514 Mikroplastik- und Mikrogummipartikel pro Kilogramm Sediment, in einer Probe aus dem Inneren der Korallenkolonie sogar 6345 Partikel.

„Wir haben in allen Proben Mikroplastik gefunden. Die höchsten Konzentrationen lagen aber in Sedimenten, die sich innerhalb der Korallenstrukturen angesammelt haben“, erklärt Co-Autor Dr. Diego Kersting, Forscher am Institut Torre de la Sal Aquaculture (IATS-CSIC). „Diese Werte liegen weit über denen, die bislang in anderen Teilen des westlichen Mittelmeers beobachtet wurden“, so Kersting weiter.

Die Mikroplastikpartikel wurden mittels Laser-Direkt-Infrarotspektroskopie (LDIR) hinsichtlich ihrer Größe, Form und Polymerart im Labor untersucht. Am häufigsten vertreten waren Polyethylen (PE, 28 %), Polyethylenterephthalat (PET, 25 %), Polystyrol (PS, 19 %) sowie Polyurethane (PU) und Mikrogummi (zusammen rund 16 %). „Mehr als 90 Prozent der Partikel sind kleiner als 250 Mikrometer – und damit klein genug, um von Korallen aufgenommen zu werden erklärt Dr. Daniel Pröfrock vom Helmholtz-Zentrum Hereon. „Polyurethane stehen im Verdacht, besonders gesundheitsschädlich für Meeresorganismen zu sein – ihre chemischen Eigenschaften lassen potenziell toxische Wirkungen erwarten“, ergänzt sein Kollege Dr. Lars Hildebrandt.

Plastiktransport durch Meeresströmungen

Die Bucht von Illa Grossa hat eine C-förmige, nach Nordosten offene Geometrie, die treibende Plastikpartikel besonders effektiv anlagert. Der sogenannte Northern Current, eine zentrale Meeresströmung im westlichen Mittelmeer, transportiert Plastikmüll aus dicht besiedelten Küstenregionen Spaniens, Südfrankreichs und Norditaliens bis zu den Columbretes-Inseln. Einmal angespült bleiben die Kunststoffabfälle in der Bucht gefangen. Zusätzlich sorgt der Reifenabrieb an Land, der über Flüsse ins Meer getragen wird, für eine hohe Belastung des Meeresschutzgebietes durch Gummifragmente.

„Unsere Ergebnisse sind alarmierend, auch wenn sie nur ein begrenztes Gebiet des Mittelmeeres betreffen. Sie machen deutlich, dass auch Schutzgebiete stark vom Einfluss der weltweiten Plastikverschmutzung betroffen sind und dass empfindliche Korallenarten besonders bedroht sind. Wir müssen daher die Erforschung solcher Auswirkungen intensivieren und gleichzeitig unsere Anstrengungen zur Eindämmung der Plastikflut weiter verstärken“, blickt Dr. Lars Reuning in die Zukunft.

Christian-Albrechts-Universität zu Kiel


Originalpublikation:

Reuning, L., Hildebrandt, L., Kersting, D. K., & Pröfrock, D. (2025). High levels of microplastics and microrubber pollution in a remote, protected Mediterranean Cladocora caespitosa coral bed. Marine Pollution Bulletin, 217, 118070. https://doi.org/10.1016/j.marpolbul.2025.118070