VBIO

Grundsatzposition Wissenschaftliche Tierversuche

Tierschutz ist ein hohes Gut und seit dem Jahr 2002 als Staatsziel  in der deutschen Verfassung verankert. Die Durchführung von Tierversuchen ist daher strikt reguliert. Auch die Freiheit der Forschung ist ein hohes Gut und im Grundgesetz festgeschrieben. Jedes einzelne Forschungsprojekt, das Tierversuche benötigt, erfordert daher eine sorgfältige und verantwortungsvolle Abwägung unterschiedlicher Rechtsgüter und Interessen. Im Spannungsfeld zwischen Erkenntnisgewinn auf der einen Seite und Tierschutz auf der anderen Seite gilt es dabei, die ethische Vertretbarkeit eines Versuchsvorhabens abzuschätzen. Diese basiert vor allem auf der Frage, ob die den Versuchstieren entstehenden Belastungen im Hinblick auf die Bedeutung des Versuchszwecks verhältnismäßig erscheinen.

Diese Abwägung umfasst dabei nicht nur die ethische Würdigung des Handelns (also der Durchführung eines Tierversuches), sondern auch die des Unterlassens.
Alle in Deutschland durchgeführten Tierversuche haben diese sorgfältige ethische Bewertung durchlaufen. Sie wurden nur genehmigt, weil sie vorab als unerlässlich eingeschätzt wurden und in Einklang mit dem 3R-Prinzip stehen. Dessen Ziel es ist, wo immer es möglich ist, Tierversuche zu ersetzen (Replacement), die Zahl der Tiere in Tierversuchen zu reduzieren (Reduction) und deren Belastung auf das geringstmögliche Maß zu beschränken (Refinement).

Die im VBIO und seinen Mitgliedsgesellschaften organisierten Biowissenschaftler forschen in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht und bekennen sich dabei ganz explizit zum 3R-Prinzip.

Das Thema Tierversuche wurde und wird in der breiten Öffentlichkeit immer wieder kontrovers, emotional und dogmatisch diskutiert. Dabei sind fundierte Hintergrundinformationen und Zusammenhänge häufig aus dem Blick geraten. Der VBIO und seine Fachgesellschaften mahnen daher dringend von allen Beteiligten eine Versachlichung der Debatte um wissenschaftliche Tierversuche an. Wer ein zeitnahes Ende aller Tierversuche suggeriert, verkennt die Sachlage und ignoriert berechtigte Anliegen der Förderung von Wohl und Gesundheit bei Mensch und Tier und ihrer Basis, der Grundlagenforschung.

Der VBIO und die in ihm zusammengeschlossenen Mitgliedsgesellschaften gehen davon aus, dass Tierversuche für bestimmte Zwecke in naher Zukunft nicht ersetzt werden können.

Tierversuche werden auch weiterhin benötigt.

  • in der Grundlagenforschung
    Zwar können die Eigenschaften von einzelnen Biomolekülen oder von Zellen im Reagenzglas bzw. in der Zellkultur untersucht werden, aber die Wechselwirkung der verschiedenen Organe, ihre Entwicklung, und die verschiedenen Faktoren, die ihre Funktion regulieren, können nur am lebenden Organismus – vorzugsweise in geeigneten Tiermodellen - umfassend untersucht werden.
    Auch grundlegende Fragestellungen aus dem Bereich der Allgemeinen Zoologie, Tierökologie bzw. der Verhaltensforschung lassen sich ausschließlich am lebenden Gesamtorganismus untersuchen. Ein Großteil der Untersuchungen zu inner- und zwischenartlichen Interaktionen oder zu den Beziehungen zwischen Organismen und ihrer Umwelt unterliegt daher ebenfalls dem Tierschutzgesetz und damit der Genehmigungspflicht.
  • bei der Entwicklung von Medikamenten zur Behandlung menschlicher Erkrankungen
    Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit neuer Behandlungsstrategien und Therapieansätze müssen so gut wie möglich untersucht sein, bevor diese für die Behandlung von Krankheiten beim Menschen eingesetzt werden können. Diese Prüfungen sind nur auf systemischer Ebene möglich. Sie sind gesetzlich vorgeschrieben und detailliert geregelt.
  • für die Tiergesundheit
    Tierversuche im Bereich der Tierhaltung und -ernährung sowie der Tiermedizin haben in der Vergangenheit zum Tierwohl beigetragen und können dies auch weiter tun. Eine Vielzahl der ursprünglich für Menschen entwickelt Medikament werden in der Tiermedizin angewandt.
  • zum vorbeugenden Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier
    Substanzen müssen sorgfältig auf Ihre Wirkungen und Nebenwirkungen auf Mensch und Tier geprüft werden. Diese Prüfungen im Rahmen regulatorischer Zwecke und in der Routineproduktion  sind gesetzlich vorgeschrieben.
  • im Tier- und Artenschutz
    Der Tier- und Artenschutz  ist auf eine möglichst umfassende Kenntnis seiner Schutzobjekte angewiesen. Diese sind aber teilweise nur durch wissenschaftliche Methoden zu erlangen, die als Tierversuche eingestuft werden - etwa Verhaltensuntersuchungen oder Ausstattung von Wildtieren mit Sendern.
  • zur Weiterentwicklung alternativer Methoden
    Alternativmethoden  sollen langfristig dazu beitragen, die Anzahl von Versuchstieren zu verringern bzw. Tierversuche zu vermeiden. Für die Etablierung und Validierung von alternativen Methoden muss jedoch erst nachgewiesen werden, dass die neue Methode ähnlich zuverlässige Ergebnisse liefert wie der entsprechende Tierversuch.
  • zu Ausbildungszwecken
    Um die skizzierten Ziele zu erreichen, ist eine gute Ausbildung von Fachkräften essentiell und auch vorgeschrieben. Auf diese Weise werden Leiden und Schäden bei den Versuchstieren vermieden.

Im Sinne der Transparenz fordert der VBIO die Gegner von Tierversuchen auf, die Konsequenzen einer Abschaffung aller Tierversuche explizit zu benennen. Zu erwarten sind eine Zunahme der Versuche an menschlichen Probanden sowie die fehlende oder nicht-adäquate Behandlung von Patienten. Nicht ohne Risiko ist auch das uneingeschränkte Vertrauen darauf, dass die in ausschließlich tierversuchsfreien Alternativverfahren gewonnenen Ergebnisse von Sicherheitsprüfungen von Chemikalien und der Prüfung neuer Arzneimittel und Therapien zutreffend sind und die Situation eines komplexen Organismus korrekt wiedergeben ist.

Vor diesem Hintergrund setzt sich der VBIO ein für:

  • eine Stärkung des 3 R-Ansatzes durch die Vergabe von Forschungsgeldern für alle drei Rs einschließlich versuchstierkundlicher Forschung zu Refinement and Reduction.
  • eine Angleichung der tierschutzrechtlichen Standards auf internationaler Ebene und faire Chancen für Wissenschaftler in Deutschland.
    Auf europäischer Ebene hat die Europäischen Richtlinie 2010/63/EU erhebliche Verbesserungen und Standardisierungen gebracht. Eine Ausweitung der Standards über die EU-Länder hinaus ist anzustreben.
  • Rechtssicherheit für Wissenschaftler, die Tierversuche durchführen.
    In diesem Zusammenhang lehnen wir die Einführung eines tierschutzrechtlichen Verbandsklagerechtes  ab. Tierschutzgesetz und Tierschutzverordnung stellen strenge und ausreichende Instrumente für die Genehmigung von Tierversuchen dar. Für jeden genehmigten Tierversuch wurde gemäß Tierschutzgesetz bereits in einem aufwändigen Verfahren nachgewiesen, dass keine geeignete Alternativmethode zur Verfügung steht und der zu erwartende Nutzen des Experiments das mögliche Leiden der Tiere ethisch rechtfertigt.
  • eine wissensbasierte und transparente Debatte zum Thema Tierversuche, in der größere Zusammenhänge berücksichtigt, verantwortungsvoll abgewogen und die Konsequenzen eines Verzichtes auf Tierversuche explizit benannt werden.

Zu den genannten Punkten hat der VBIO in der Vergangenheit verschiedene Positionen und Stellungnahmen vorgelegt, die hier dokumentiert sind. Die Positionen sind in Zusammenarbeit mit Mitgliedsgesellschaften des VBIO entstanden, die aus der Sicht ihrer jeweiligen Disziplin weitere Grundsatzpapiere und Forderungen vorgelegt haben, die auf den Seiten der jeweiligen Fachgesellschaft dokumentiert sind.

Der VBIO steht für einen offenen, sachlich fundierten Dialog mit allen Akteuren gerne zur Verfügung und bietet seine Expertise an.

(Stand: Juni 2017)

 


Diese Grundlagenposition wurde gemeinsam vom VBIO und seinen Mitgliedsgesellschaften entwickelt und gemeinsam getragen. Aus Gründen der besseren Verständlichkeit wird im Folgenden nur der Terminus VBIO verwendet. Er umfasst auch die im VBIO organisierten Fachgesellschaften