Die Probleme, die Waschbären verursachen, zeigen sich auf vielfältige Weise: Durchwühlte Mülltonnen, Beschädigungen an Isolierung und Kabeln auf Dachböden, geplünderte Gärten. „Ursprünglich aus Nordamerika stammend breitet sich der Waschbär – Procyon lotor – immer weiter in der Bundesrepublik und von hier über Europa aus“, erklärt Prof. Dr. Sven Klimpel vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und der Goethe-Universität Frankfurt und fährt fort: „Dabei richtet er nicht nur Chaos in deutschen Privathaushalten an, sondern bedroht auch zunehmend die heimische Artenvielfalt. Diese Vermutung hat unsere neue wissenschaftliche Studie nun eindeutig bestätigt.“
Klimpel und sein Team haben 108 Waschbären aus Hessen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg unter die Lupe genommen. Dabei untersuchten sie die Mageninhalte, den Kot und die Parasitenfauna der Raubtiere mit der typischen schwarzen Maske. „Alle von uns analysierten Tiere stammen aus Naturschutzgebieten mit Wasserzugang. Die Ergebnisse der Studie zeigen klar, dass insbesondere die Laichgebiete von Amphibien und Reptilien als Nahrungsressource von Waschbären genutzt werden“, erläutert Klimpel. In den Mägen der Waschbären wurden unter anderem Erdkröten (Bufo bufo), Teichmolche (Lissotriton vulgaris), Grasfrösche (Rana temporaria) sowie Ringelnattern (Natrix natrix) identifiziert. „Während der Probennahme im hessischen Spessart haben wir beispielsweise an einem Tag über 400 gehäutete Kröten an einer Wasserfläche von etwa 2000 Quadratmetern gezählt. Das beobachtete spezialisierte Verhalten und die Tendenz, bestimmte Beutetiere in bestimmten Regionen zu bevorzugen, bestätigen frühere Erkenntnisse darüber, dass Waschbären sich zu Spezialisten in der Nahrungswahl entwickeln können, die gewisse Arten bevorzugen und gezielt nutzen.“
Ergänzend zur Analyse des Nahrungsspektrums der Waschbären wurde von den Forschenden deren Parasitenfauna analysiert. Diese erlaubt – anders als die Mageninhaltanalysen – auch Rückschlüsse auf zeitlich entferntere Interaktionsprozesse zwischen den Tieren und den Nahrungsorganismen. Mit ihren verschiedenen Entwicklungsstadien und Lebenszyklen, die unterschiedliche Organismen als Zwischenwirte beinhalten, nutzen Parasiten das gesamte Nahrungsnetz, um ihren endgültigen Wirt zu erreichen. Somit lassen sich Parasiten gut als Indikatoren für die Art und Herkunft der Nahrungsorganismen heranziehen. Insgesamt wurden 16 Parasitenarten – 5 Ekto- und 11 Endoparasiten – an und in den Waschbären nachgewiesen. Drei Parasitenarten – Hymenolepis erinacei, Physocephalus sexalatus und Pomphorhynchus laevis – sind dabei erstmalig bei Waschbären in Europa belegt.
„Interessanterweise haben wir auch Parasiten identifiziert, die typisch für Amphibien und Reptilien sind. Insbesondere die von uns in den Tieren bestimmten Arten Euryhelmis squamula und Isthmiophora melis nutzen Frösche und Co. als Zwischenwirte – ein weiteres Indiz, dass die heimische Amphibien- und Reptilienfauna zu regelmäßiger Nahrung der Waschbären gehört“, so Klimpel.
Der Frankfurter Parasitologe und sein Team warnen in der neu veröffentlichten Arbeit davor, dass Waschbären in bestimmten Gebieten eine signifikante Auswirkung auf gefährdete Tierarten haben und als invasive Spezies einen negativen Einfluss auf einheimische Arten und Ökosysteme ausüben können. „Wir halten es für notwendig in Gebieten, in denen seltene Arten vorkommen, Managementmaßnahmen für Waschbären festzulegen, um das übergreifende Naturschutzziel ‚Erhaltung gefährdeter Arten‘ zu gewährleisten“, schließt Klimpel.
Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Goethe-Universität Frankfurt
Originalpublikation:
Norbert Peter, Anna V. Schantz, Dorian D. Dörge, Anne Steinhoff, Sarah Cunze, Ajdin Skaljic, Sven Klimpel (2024): Evidence of predation pressure on sensitive species by raccoons based on parasitological studies. International Journal for Parasitology: Parasites and Wildlife, Volume 24. https://doi.org/10.1016/j.ijppaw.2024.100935