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Wo man lebt, prägt das Verhalten

BaYaka-Junge beim Klettern auf einen Papayabaum um Früchte zu ernten.
BaYaka-Junge beim Klettern auf einen Papayabaum um Früchte zu ernten. © Sarah Pope

Je nachdem, wo auf der Welt sie leben, organisieren Menschen aus Jäger- und Sammlergesellschaften sich ihr Leben zum Beispiel bei der Nahrungssuche, Fortpflanzung, Betreuung des Nachwuchses und sogar hinsichtlich ihres sozialen Umfelds ähnlich wie Säugetier- und Vogelarten, mit denen sie ihren Lebensraum teilen. Einer neuen Studie von Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, der Universität Bonn und der University of Bristol in Großbritannien zufolge haben Umweltfaktoren einen entscheidenden Einfluss darauf, wie sich Menschen und nicht-menschliche Arten bei der Nahrungssuche verhalten – trotz ihrer sehr unterschiedlichen Hintergründe.

Die Forscher trugen Daten von mehr als 300 Orten auf der ganzen Welt zusammen, um dann das Verhalten menschlicher Populationen sowie anderer Säugetier- und Vogelarten, die an diesen Orten leben, zu beschreiben. Die Ergebnisse zeigen, dass sich der Mensch bei 14 von 15 untersuchten Verhaltensweisen ähnlich verhält wie die meisten anderen Arten, die am gleichen Ort leben, und dass er sich von Arten, die unter anderen Umweltbedingungen leben, eher unterscheidet.

„Frühere Studien untersuchten den Einfluss von Umweltbedingungen auf das Verhalten von nahe verwandten Arten. In unserer Studie haben wir nun aus einer vergleichenden Perspektive sehr unterschiedliche Arten – Menschen, Säugetiere und Vögel – systematisch über eine breite Palette von Verhaltensweisen hinweg miteinander verglichen. Unsere Ergebnisse zeigen, wie bemerkenswert durchdringend und konsistent der Einfluss lokaler Umweltbedingungen auf das Verhalten ist“, sagt Autor Toman Barsbai von der University of Bristol und dem Institut für Weltwirtschaft Kiel. „Die Ähnlichkeiten finden sich nicht nur bei Verhaltensweisen mit direktem Bezug zur Umwelt, wie zum Beispiel der Nahrungssuche, wo wir eine klare Korrelation erwartet haben, sondern auch beim Fortpflanzungs- und Sozialverhalten, die weniger von lokalen Umweltfaktoren abhängig zu sein schienen.“

Was die Nahrungssuche betrifft, gibt es zum Beispiel Lebensräume, wo Menschen einen erheblichen Teil ihrer Kalorien durch die Jagd gewinnen – und an diesen Orten ist auch der Anteil an fleischfressenden Säugetieren und Vögeln viel größer als anderswo. Ähnliche Assoziationen gibt es auch für die Abhängigkeit vom Fischfang, die Entfernung, die man für die Nahrungssuche zurücklegt, ob man sich mit Nahrung bevorratet, und ob eine jahreszeitenbedingte Migration stattfindet - wobei jedes Verhalten bei Menschen, anderen Säugetieren und Vögeln an manchen Orten intensiver ausgeprägt ist als an anderen.

Beim Fortpflanzungsverhalten gibt es zum Beispiel große Unterschiede zwischen den Populationen, was den Zeitpunkt der ersten Fortpflanzung betrifft. In einigen menschlichen Populationen werden Männer im Durchschnitt zum ersten Mal Vater, wenn sie 30 Jahre oder älter sind, während sie in anderen Populationen jünger als 20 Jahre sein können. An Orten, an denen Menschen später Kinder bekommen, sind auch die dort lebenden Säugetiere und Vögel bei der ersten Fortpflanzung im Durchschnitt älter, während sie dort jünger sind, wo auch Menschen sich früh fortpflanzen. Die Studie ergab auch, dass andere Variablen sich über die Arten hinweg ähnelten, darunter der Anteil der Individuen, die mehrere Partner haben, wie weit sich Individuen von ihrem Heimatort entfernen, um mit neuen Partnern zusammenzuleben, und wie wahrscheinlich es ist, dass verpaarte Individuen sich trennen.

Was soziale Interaktionen betrifft, gibt es einige Orte auf der Welt, an denen die Betreuung der Nachkommen gleichmäßiger zwischen den Eltern aufgeteilt wird als an anderen, Orte, wo Gruppen aus mehr Individuen bestehen als an anderen und Orte, an denen es wahrscheinlicher ist, dass es soziale Klassen (wenn einige Individuen dominanter sind als andere) gibt.

Was ist die Ursache für diese Verhaltenskonvergenz? Weitere Erkenntnisse aus der Studie deuten darauf hin, dass es die lokalen Umweltbedingungen sein könnten. Die Kenntnis der Umweltbedingungen eines Ortes ermöglichte es den Forschern zu erklären, welche Verhaltensweisen dort zu erwarten sind. Es ist jedoch noch nicht klar, welche spezifischen Umweltfaktoren für bestimmte Verhaltensweisen von besonderer Bedeutung sind oder welche Mechanismen sie miteinander verbinden.

„Wir waren überrascht, dass diese Assoziationen bei Menschen, Säugetieren und Vögeln auftraten“, sagt Autor Dieter Lukas vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Es ist zu erwarten, dass verschiedene Arten ihre Umwelt auf sehr unterschiedliche Weise wahrnehmen und mit ihr interagieren. Selbst wenn sie am Ende das gleiche Verhalten zeigen, könnten sie auf unterschiedlichen Wegen dorthin gelangt sein. Insbesondere die Flexibilität mit der Menschen ihr Verhalten an Lebensräume auf der ganzen Welt anpassen, wird wahrscheinlich dadurch ermöglicht, dass wir von anderen Menschen lernen und auf diesem Weg Informationen über Generationen hinweg aufbauen.“

Die Studie konzentrierte sich auf menschliche Populationen, die den Großteil ihrer Nahrung durch Nahrungssuche innerhalb ihres Lebensraums gewinnen. „Es wäre interessant herauszufinden, wie viele dieser Umweltrestriktionen andere Gesellschaften prägen, in denen Individuen ihre Nahrung durch landwirtschaftliche Spezialisierung und Handel erhalten“, sagt Autor Andreas Pondorfer von der Universität Bonn und der Technischen Universität München. „Es wird oft angenommen, dass Menschen durch das Betreiben von Landwirtschaft weniger von ihrer Umwelt abhängig sind. Dennoch könnten auch in diesen Populationen Individuen nicht so unabhängig von der Umwelt sein, wie wir denken und vielleicht könnte ihr Verhalten auch immer noch Anpassungen widerspiegeln, die vor Einführung der Landwirtschaft stattgefunden haben.“

Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie


Originalpublikation:

Toman Barsbai, Dieter Lukas, Andreas Pondorfer: Local convergence of behavior across species, Science, 15 January 2021

https://doi.org/10.1126/science.abb7481