Als Erwachsene besitzen wir die Fähigkeit, unsere eigenen Gedanken, Emotionen und unser Verhalten zu kontrollieren. Wir haben eine Art inneres Stoppschild, das uns Innehalten lässt und uns ermöglicht, auch langfristige Ziele zu erreichen. In der frühen Kindheit, besonders im Alter zwischen drei und vier Jahren, lässt sich bei Kindern ein regelrechter Sprung in der Fähigkeit zur Selbstkontrolle beobachten. Sie lernen, auf bestimmte Dinge zu warten und können sich bereits für eine Weile auf eine Sache konzentrieren.
Doch wie kommt es zu diesem Durchbruch im Vorschulalter? Und bedarf es für das Stillsitzen und Konzentrieren der gleichen Fähigkeit wie dafür, dem Impuls zu widerstehen, verlockende Süßigkeiten auf einmal zu essen? Diesen Fragen ist eine neue Studie am Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften (MPI CBS) nachgegangen, die jetzt im Fachmagazin „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht wurde.
Um diese Entwicklungssprünge zu untersuchen, nutzten die Forscher verschiedene Aufgaben, mit denen sie die unterschiedlichen Formen der Selbstkontrolle testeten. Im „Bär-Drachen-Spiel“ erfassten sie die Fähigkeit der Kinder, bestimmte Handlungen zu unterdrücken. Die Kinder werden dabei zunächst mit zwei Kuscheltieren bekannt gemacht: Dem „lieben Bär“ und dem „bösen Drachen“. Während des Spiels erhalten die Kinder verschiedene Anweisungen der beiden Figuren, wie „Klatsch in die Hände!” oder “Berühre deine Nase!”. Diese Anweisungen sollten sie jedoch nur dann umsetzen, wenn der “liebe Bär“ sie aufforderte – nicht aber, wenn der „böse Drache“ die Anweisung gab.
Eine andere Aufgabe, auch bekannt als “Marshmallow-Test”, erfasste wiederum die Fähigkeit der Kinder, einen emotionalen Impuls über längere Zeit hinweg zu unterdrücken. Die Kinder sitzen dabei an einem Tisch, auf dem Gummibärchen oder Schokoriegel stehen. Eine größere Portion davon befindet sich, für die Kinder sichtbar, in einer verschlossenen Kiste daneben. Die Versuchsleiterin teilt den Kindern mit, sie müsse jetzt für kurze Zeit den Raum verlassen, stellt aber in Aussicht: “Wenn du wartest, bis ich zurückkomme, ohne die Süßigkeit zu essen, bekommst du die große Portion.”
Es zeigte sich: Die Vierjährigen schnitten in beiden Aufgaben deutlich besser ab als die Dreijährigen, so wie es bereits frühere Studien gezeigt hatten. Anhand von MRT-Untersuchungen stellte sich zudem heraus, im Alter zwischen drei und vier Jahren reift das sogenannte kognitive Kontrollnetzwerk heran. Die Großhirnrinde, der Cortex, wird dicker. Dieses Netzwerk bestimmt bei Erwachsenen darüber, wie gut wir in der Lage sind, unsere Impulse und Handlungen zu kontrollieren. Im ausgereiften Zustand umfasst es vor allem Regionen im Frontal – und Parietallappen des Gehirns, die wiederum durch Nervenfasern miteinander verbunden sind und so Informationen schnell und effizient austauschen können.
Das Interessante dabei: Die unterschiedlichen Aufgaben zur Selbstkontrolle, der „Bär-Drache“- und der Marshmallow-Test, standen mit unterschiedlichen Regionen innerhalb des kognitiven Kontrollnetzwerks in Verbindung. Schnitten Kinder in ersterem gut ab, war der präfrontale Cortex weiter ausgebildet, der bei Erwachsenen insbesondere für die Planung und Steuerung von Handlungen zuständig ist. Machten sich die Kleinen besser im Marshmallow-Test, war der supramarginalen Gyrus im Reifeprozess stärker vorangeschritten, der eher mit der Steuerung von Aufmerksamkeit verbunden ist.
„Im Kleinkindalter könnte also eine graduelle Entwicklung ihren Anfang nehmen, deren Ergebnis wir in der vollentwickelten Selbstkontrolle im Erwachsenenalter beobachten“, sagt Philipp Berger, Postdoc am MPI CBS und Erstautor der Studie. „Das heißt auch, dass wir möglicherweise bereits in sehr jungen Jahren auf diese wichtige Fähigkeit Einfluss nehmen können.“
Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften
Originalpublikation:
Philipp Berger, Angela D. Friederici and Charlotte Grosse Wiesmann
Maturational indices of the cognitive control network are associated with inhibitory control in early childhood. Journal of Neuroscience 11 July 2022, DOI: https://doi.org/10.1523/JNEUROSCI.2235-21.2022