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Pflanzenschutzmittel verändern das Verhalten von Nicht-Zielorganismen / Effekte bei Bestäuberinsekten und Fischen

Blick in einen Bienenstock
Als Modellorganismus für Bestäuberinsekten diente die Honigbiene (Apis mellifera). Copyright: André Künzelmann / UFZ

Pflanzenschutzmittel schützen Kulturpflanzen vor Schädlingen, Krankheiten und Unkräutern. Sie wirken sich aber auch negativ auf Organismen aus, die nicht das primäre Ziel ihres Einsatzes sind, zum Beispiel Bestäuberinsekten oder Fische. Wie sich deren Verhalten nach Exposition mit Pflanzenschutzmitteln ändert, steht im Fokus der lebensraumübergreifenden Studie von Wissenschaftler:innen des UFZ. Die im Tiermodell gefundenen Verhaltensänderungen fielen deutlich aus. Die Arbeit zeigt, dass es für eine bessere Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln notwendig ist, künftig komplexere und damit relevantere Verhaltenstests einzubeziehen. 

Das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft unterliegt strengen Regelungen. Dennoch kommen unvermeidlich auch Organismen, die nicht das primäre Ziel ihres Einsatzes sind, sogenannte Nicht-Zielorganismen, mit diesen Substanzen in Kontakt und können Schaden nehmen. „Wildbienen und andere Bestäuberinsekten können kurz nach dem Spritzen mit recht hohen Konzentrationen in Berührung kommen. Aber auch Tiere des aquatischen Lebensraums sind gefährdet“, sagt UFZ-Biologe Prof. Dr. Martin von Bergen, einer der beiden Co-Studienleiter. „Durch Regenfälle werden Pflanzenschutzmittel nach und nach in die umliegenden Gewässer gespült. Sie verbleiben und wirken nicht nur dort, wo sie ausgebracht wurden.“

Aus diesem Grund wählte das UFZ-Team für die Studie einen Forschungsansatz, in dem lebensraumübergreifend Bestäuberinsekten und Fische untersucht wurden. Als Modellorganismus für Bestäuberinsekten diente die Honigbiene (Apis mellifera) und für aquatische Tiere der Zebrabärbling (Danio rerio). Dabei richteten die Forschenden ihren Fokus auf Verhaltensänderungen infolge einer Exposition mit Pflanzenschutzmitteln. „Pflanzenschutzmittel wirken natürlich nicht immer tödlich auf die Nicht-Zielorgansimen. Je nach Art des Pflanzenschutzmittels können aber bereits geringe Konzentrationen ihre Gesundheit schädigen oder sie in ihrem Verhalten so beeinträchtigen, dass sich dies negativ auf das Individuum, die Population und damit letztlich sogar auch auf die Biodiversität des Ökosystems auswirken kann“, sagt Cassandra Uthoff, UFZ-Doktorandin und Erstautorin der Studie. „In die Risikobewertung von Chemikalien werden Verhaltenstests von Tieren nach einer Chemikalienexposition in niedrigen Konzentrationen zwar teilweise schon einbezogen, sind jedoch nicht komplex genug und meist nicht verpflichtend.“

Und genau solche komplexen Verhaltensmuster nahmen die UFZ-Forschenden, ein interdisziplinäres Team aus den Bereichen Tierverhaltensforschung, Ökotoxikologie und Biochemie, in den Fokus. „Wir wollten herausfinden, ob und in welchem Maße sich diese Verhaltensmuster unter Einwirkung von Insektiziden, Herbiziden und Fungiziden ändern. Dazu haben wir die Modellorganismen Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt, die in ihrem jeweiligen Lebensraum in der Umwelt auch tatsächlich vorkommen und ihr Verhalten analysiert“, erklärt Cassandra Uthoff. Bei den Honigbienen konnten die Forschenden nach Behandlung mit dem Insektizid eine verringerte Futtersuchaktivität und ein verändertes Verhalten in der Nektarverarbeitung feststellen. Fungizide und Herbizide führten dagegen zu einem weniger intensiven Brutpflegeverhalten. „Solche Verhaltensänderungen, ausgelöst durch umweltrelevante Konzentrationen von Pflanzenschutzmitteln, können die Leistungsfähigkeit, den Erhalt der Kolonien und damit letztlich auch ihre Bestäubungsleistungen beeinträchtigen“, sagt Uthoff.

Um die Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln auf das Verhalten von Süßwasserorganismen zu testen, nutzten die Forscher:innen eine Screening-Methode am Zebrafisch-Embryo-Modell. Damit ist es möglich, Chemikalien schnell auf neurotoxische Wirkungen zu testen, indem veränderte Lern- und Gedächtnisprozesse anhand des Verhaltens von Embryonen des Zebrabärblings gemessen werden. Neben der Einzelbehandlung mit den Pflanzenschutzmitteln wurden die Fischembryonen auch verschiedenen Konzentrationen eines Insektizid-Herbizid-Fungizid-Gemisches ausgesetzt, wie es typischerweise in deutschen Fließgewässern vorkommt. Die Exposition führte zu deutlichen und auch spezifischen Änderungen ihres Verhaltens: War die Konzentration des Gemisches gering, zeigten die Fischembryonen ein Verhalten, wie es normalerweise das Herbizid allein auslösen würde. Bei höherer Konzentration desselben Gemisches wurde dieses Verhalten aber nicht verstärkt, sondern abgelöst: Der Fischembryo verhielt sich nun so wie unter Einwirkung des Fungizids. 

„Die Arbeit zeigt auch, dass Chemikaliengemische bereits in umweltrelevanten Konzentrationen komplexe Verhaltensänderungen hervorrufen können“, sagt Prof. Dr. Tamara Tal, UFZ-Ökotoxikologin und Co-Studienleiterin. „Zum besseren Schutz der Tiere in der Umwelt brauchen wir deshalb Regularien, die Grenzwerte auf Basis des kumulativen Risikos festlegen.“ 

„Die Effekte, die wir im Tiermodell messen konnten, lassen vermuten, dass die tatsächlichen ökologischen Auswirkungen von Pflanzenschutzmitteln deutlich weitreichender sind als bislang angenommen“, ergänzt Martin von Bergen.

Die Forschenden fordern deshalb, mehr relevante Verhaltenstests für niedrig konzentrierte Chemikalien in die Rahmenwerke zur Risikobewertung von Pflanzenschutzmitteln zu integrieren. Dies würde helfen, kritische Substanzen zu identifizieren und Nicht-Zielorganismen besser zu schützen und würde so zum Erhalt der Biodiversität in Agrarlandschaften beitragen. 

Die Forschungsarbeiten fanden im Rahmen des vom Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMELH) geförderten Projekts Sens4Bee, eines Stipendiums der Helmholtz-Gemeinschaft und mit Unterstützung der Novo Nordisk Foundation statt.

(Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung - UFZ)


Originalpublikation:
Uthoff, C., Herold, N.K., Alkassab, A.T., Engelmann, B., Rolle-Kampczyk, U., Pistorius, J., Schweiger, N., Finckh, S., Krauss, M., Thum, A.S., Jehmlich, N.,Tal, T., von Bergen, M.: Cross-taxa sublethal impacts of plant protection products on honeybee in-hive and zebrafish swimming behaviours at environmentally relevant concentrations; Environment International, September 2025, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S016041202500501X?via%3Dihub

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