„Wir alle wissen natürlich, dass Palmöl den Regenwald vernichtet und dass Monokulturen schädlich sind”, erläutert Erstautor
Dr. Thomas Kastner vom Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt und fährt fort: „Doch was sind die konkreten Auswirkungen des globalen Agrarhandels? Obwohl einzelne Aspekte dieser Frage immer wieder wissenschaftlich behandelt werden, gibt es überraschend wenig Forschung, die eine umfassende globale Perspektive einnimmt. Mit unserer neuen Studie haben wir versucht diese Lücke zu schließen.“
Die Gruppe um Kastner fasst dafür die Ergebnisse von über hundert Studien aus den letzten Jahren zusammen, welche die Auswirkungen des Lebensmittelhandels auf die Verfügbarkeit von Nahrung und auf den Verlust von Artenvielfalt sowie auf die Fähigkeit von Ökosystemen, CO2 zu binden, quantifiziert haben. „Unser Fokus lag auf einem möglichst breiten Blick auf Landsysteme, der ökologische, wirtschaftliche und soziale Prozesse beinhaltet“, ergänzt Kastner.
In den letzten drei Jahrzehnten hat sich der Handel mit Nahrung mehr als verdoppelt und macht nun fast ein Viertel der globalen Nahrungsproduktion aus. 80 Prozent der Weltbevölkerung lebt in Ländern, die Nettoimporteure von Nahrung sind. Der Welthandel spielt auch eine zentrale Rolle bei der Versorgung mit Mikronährstoffen und Spurenelementen. Studien haben gezeigt, dass der Handel den Großteil der Weltbevölkerung essentiell mit lebenswichtigen Mineralien und Vitaminen versorgt.
Während der Agrarhandel also wichtig für die Ernährung zahlloser Menschen ist, stellt er zugleich eine wichtige Triebkraft für Abholzung, den Verlust natürlicher Habitate und den Verlust von Biodiversität dar. Dabei zeigen die zusammengetragenen Studien einen klaren Zusammenhang zwischen wachsendem Agrarhandel und Abholzung und den damit verbunden Auswirkungen auf Ökosysteme und Biodiversität vor Ort. Der Export von Sojabohnen, Palmöl und Rindfleisch aus einer Handvoll Länder in Lateinamerika und Südostasien vernichtet Hunderttausende Hektar Wald – jedes Jahr aufs Neue. Kastner hierzu: „In der Europäischen Union machen Abholzungs-Emissionen zwischen 13 und 30 Prozent des gesamten CO2-Fußbabdrucks eines durchschnittlichen täglichen Speiseplans aus. Kurz gesagt: Wir essen die Wälder auf!”
Die Zunahme von Waldflächen in Ländern des Globalen Nordens gleiche dies nicht aus und sei in vielen Fällen nur deswegen möglich, weil die Abholzung gewissermaßen exportiert werde. Auch in Sachen Biodiversität stellen die Forscher*innen dem Handel ein verheerendes Zeugnis aus. So zeigten Untersuchungen beispielsweise, dass der internationale Handel die Haupttriebkraft für den Gefährdungsstatus von etwa 30 Prozent aller bedrohten Arten ist. Die größte Gefahr für die Artenvielfalt geht dabei von Ölsaaten wie Palmöl und Soja, aber auch Kaffee, Kakao und Rindfleisch aus.
Dies müsse man auch als politisches Problem betrachten, so Kastner: „Viele ärmere Länder weiten ihre Agrarflächen vor allem für Agrarexporte aus. Das stärkt zwar ihre Wirtschaften kurzfristig, macht sie aber abhängig vom Handel – und damit gleichzeitig anfällig für Wirtschaftskrisen.” Umgekehrt kann auch Abhängigkeit von Nahrungsimporten problematisch sein, vor allem mit zunehmendem Klimawandel. Kastner verweist auf ein anschauliches Beispiel: Wissenschaftliche Arbeiten zu der Hitzewelle von 2008 bis 2010 zeigten, dass diese zu massiven Ernteausfällen in Russland geführt habe. Russland schränkte daraufhin seine Exporte ein, was zu einer Unterversorgung im Nahen Osten führte. Diese Unterversorgung brachten die Forschungsarbeiten mit Protesten und dem Arabischen Frühling in Verbindung.
Kastner und Co kamen aber auch zu unerwarteten Ergebnissen: Unter anderem zeigt sich der globale Getreidehandel vergleichsweise effizient – im Gegensatz zum folgenreichen Handel mit beispielsweise Kaffee und Kakao. Der Getreidehandel versorgt eine Vielzahl von Menschen mit wichtigen Kalorien und verbraucht dabei in den Exportländern weniger Ressourcen, als dies eine auf Selbstversorgung zielende Produktion mit gegenwärtigen Anbaumethoden vor Ort tun würde. „Gehen wir von einem fiktiven Szenario aus, in dem jede Region diese Lebensmittel ausschließlich für die Selbstversorgung herstellen würde, wären Entwaldungs- und Biodiversitäts-Fußabdruck der Menschheit deutlich größer”, erläutert der Senckenberger.
Kastner plädiert dafür, die positiven Aspekte des Lebensmittelhandels zu stärken und Synergien zwischen Umweltschutz, landwirtschaftlicher Nutzung und unserer Ernährung besser zu erforschen. „Es braucht hier mehr Daten und auch mehr Interdisziplinarität, um Erkenntnisse aus der Wissenschaft schneller in die Politik einfließen zu lassen,” so der Frankfurter Ökologe. Beispielsweise sei es geboten, stärker nach der Qualität der gehandelten Produkte und deren Beitrag zu einer ausgewogenen Ernährung zu fragen. Gleichzeitig sollten Ökosysteme stärker als Ganzes in den Blick genommen werden, denn der Handel verändere Ökosysteme, während er zugleich von ihrer nachhaltigen Produktivität abhängig sei. „Es müssen allerdings auch dringend die negativen Aspekte des weltweiten Lebensmittelhandels gedämpft werden – auch im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen“, schließt Kastner.
Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum Frankfurt
Originalpublikation:
Kastner, Thomas et. al. (2021): Global agricultural trade and land system sustainability: Implications for ecosystem carbon storage, biodiversity, and human nutrition. One Earth. https://doi.org/10.1016/j.oneear.2021.09.006