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Monitoringprogramme zur Biodiversität brauchen eine Kultur des Miteinanders

Die Mitarbeit fachkundiger Freiwilliger im Rahmen von Citizen Science-Projekten (hier beim Tagfaltermonitoring Deutschland, einem Projekt des UFZ) ist eine tragende Säule von Biodiversitätsmonitorings in Deutschland
Die Mitarbeit fachkundiger Freiwilliger im Rahmen von Citizen Science-Projekten (hier beim Tagfaltermonitoring Deutschland, einem Projekt des UFZ) ist eine tragende Säule von Biodiversitätsmonitorings in Deutschland, insbesondere für Insekten. André Künzelmann/UFZ

Der Verlust der Artenvielfalt schreitet weltweit unaufhaltsam voran. Um wirkungsvoller dagegen zu steuern, braucht es Monitoringprogramme, die den Zustand der Tier- und Pflanzenarten sowie deren Gefährdungszustand präzise abbilden. Doch daran mangelt es noch zu oft – zu lückenhaft, zu wenig aufeinander abgestimmt und zu begrenzt ist das zu untersuchende Artenspektrum. Ein vom Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) geführtes Team von Forschern beschreibt in einem Beitrag für das Fachjournal OneEarth, wie verschiedene Interessengruppen mit viel Expertise zusammenarbeiten können, um Monitoring zu stärken und damit einem weiteren Artenrückgang entgegenzuwirken.

Ökologisches Monitoring ist das Erfassen von biologischer Vielfalt und ihrer räumlichen und zeitlichen Veränderung. Das Fehlen von Monitoringprogrammen, die ein breites Spektrum der Artenvielfalt abdecken, hat oft zur Folge, dass sich in vielen Ländern keine eindeutigen Aussagen zum Zustand der Artenvielfalt treffen lassen. Dadurch können Faktoren für einen etwaigen Rückgang von Biodiversität nicht identifiziert und behoben werden.

Dabei wären die Informationen und auch die verschiedensten Interessengruppen wie Behörden, Wissenschaft, Fachgesellschaften, Naturschutzverbände oder auch bestimmte Berufsgruppen aus der Privatwirtschaft vielerorts durchaus vorhanden. Sie finden jedoch nicht immer zusammen, da sie oftmals unter sehr unterschiedlichen institutionellen Rahmenbedingungen agieren. Wertvolles Wissen und Daten werden daher nicht zusammengeführt, Lücken in der Datenerhebung nicht geschlossen. „Wir müssen deshalb eine Kultur der Integration aller Akteure schaffen, die im Biodiversitätsmonitoring aktiv sind“, sagt der Erstautor der Studie, Dr. Hjalmar Kühl, Ökologe bei iDiv und dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA).

Gelingen kann dies, indem man die unterschiedlichen Interessengruppen an einen Tisch bringt. „Notwendig ist ein Netzwerk, in dem nicht ausschließlich zentral entschieden wird, was zu tun ist, sondern in dem sich die Akteure vernetzen, einander vertrauen und gemeinsam entscheiden, was sie machen“, sagt Kühl. „Diese Selbstorganisation kann die Motivation der Teilnehmer erhöhen und somit für mehr Akzeptanz bei der jeweiligen Interessengruppe sorgen und das Thema Biodiversität stärker in der Gesellschaft verankern.“

Dafür könnten zum Beispiel Workshops und Symposien relevante Akteure zusammenbringen, damit sie gemeinsam passende Anreize und die notwendigen technischen Voraussetzungen für den Austausch von Daten, Ergebnisse und Analysen erarbeiten. „Neue Ansätze für die Analyse eines breiten Spektrums von Monitoringdaten zeigen, wie die Informationen, die ein Monitoring-Netzwerk liefert, miteinander verbunden werden können“, sagt die Co-Autorin Dr. Diana Bowler, Ökologin beim Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und iDiv. Damit lassen sich die Aktivitäten verschiedener Interessengruppen und Einzelpersonen hervorragend integrieren.

Freiwillige und Artenexperten aus Fachgesellschaften oder Citizen-Science-Projekten einzubeziehen, ist in vielen Fällen unerlässlich. Rund 80 bis 90 Prozent der Daten zur Biodiversität werden in Europa von Freiwilligen erhoben. So sorgte zum Beispiel erst die Studie des Entomologischen Vereins Krefeld, der im Jahr 2017 den gravierenden Rückgang flugfähiger Insekten bekannt machte, dafür, dass in Deutschland das Thema Insektenschutz auf die politische Agenda gekommen ist. Insbesondere bei Artengruppen wie Käfern, Schwebfliegen oder Zikaden, für deren Bestimmung die Behörden auf taxonomisches Fachwissen angewiesen sind, ist die Mitarbeit durch Freiwillige für langfristige Erhebungen wichtig.

„Es gibt eine lange Geschichte des Engagements von ehrenamtlichen Naturforschern, die von der biologischen Vielfalt fasziniert sind und die sich für deren Erhalt einsetzen“, sagt Letztautorin Prof. Aletta Bonn, Forschungsgruppenleiterin beim UFZ, iDiv und der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „Diese Citizen-Science-Daten können mit anderen Monitoringdaten integriert werden, um Trends und Datenlücken zu identifizieren. Es braucht einen Kulturwandel des Miteinanders in der Wissenschaft – hin zum integrierten Monitoring für nachhaltigen Biodiversitätsschutz.“

iDiV


Originalpublikation:

Kühl, H.S., Bowler, D.E., Bösch, L., Bruelheide, H., Dauber, J., Eichenberg, D., Eisenhauer, N., Fernandez, N., Guerra, C., Henle, K., Herbinger, I., Isaac, N.J.B., Jansen, F., König-Ries, B., Kühn, I., Nilsen, E.B., Pe’er, G., Richter, A., Schulte, R., Settele, J., van Dam, N.M., Voigt, M., Wägele, J.W., Wirth, C., Bonn, A. (2020): Effective biodiversity monitoring needs a culture of integration, One Earth 3(4):462-474. DOI: 10.1016/j.oneear.2020.09.010

https://doi.org/10.1016/j.oneear.2020.09.010