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Schmelzverhalten erklärt biologische Funktion der Wachsschicht von Ameisen

Kohlenwasserstoffe der Ameise Myrmica rubra können Kristalle bilden. Das Verhältnis von festen und flüssigen Bestandteilen beeinflusst die Funktionsfähigkeit der Kohlenwasserstoffschicht – als Austrocknungsschutz und als Kommunikationssignal.
Kohlenwasserstoffe der Ameise Myrmica rubra können Kristalle bilden. Das Verhältnis von festen und flüssigen Bestandteilen beeinflusst die Funktionsfähigkeit der Kohlenwasserstoffschicht – als Austrocknungsschutz und als Kommunikationssignal. Foto/©: Philipp Sprenger

Ameisen sind als soziale Insekten in besonderem Maße darauf angewiesen, möglichst gut zu kommunizieren, um Feinde abzuwehren und Nestgenossen zu erkennen. Außerdem müssen sie sich vor Austrocknung schützen. Für beides – Kommunikation und Austrocknungsschutz – ist der Insektenkörper von einer Art Wachsschicht bedeckt. Zum Schutz vor Trockenheit sollte die Wachsschicht eher fest sein, aber um andere Ameisen zu erkennen, darf sie nicht zu fest sein, damit die enthaltenen chemischen Signale über den Geruch wahrgenommen werden können. Um den Spagat zwischen Kommunikation und Austrocknungsschutz zu bewerkstelligen, besitzt die Schicht aus kutikulären Kohlenwasserstoffen besondere physikalische Eigenschaften, wie Biologen nun herausgefunden haben.

„Zu unserer Überraschung hat die Schicht keinen festen Schmelzpunkt, sondern einen großen Schmelzbereich. Sie fängt bei etwa minus 45 Grad Celsius an zu schmelzen und ist erst bei plus 30 bis 40 Grad Celsius komplett flüssig“, erklärt Dr. Florian Menzel von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU). „Wir finden also ein Gemisch aus flüssigen und festen Bestandteilen vor, ähnlich wie Eiswürfel in einem Glas Wasser oder flüssiger Honig mit Kristalleinschlüssen.“

Konflikt zwischen den zwei Funktionen „Kommunikation“ und „Austrocknungsschutz“

Die Schicht aus kutikulären Kohlenwasserstoffen, die die Körperoberfläche von praktisch allen Insekten wie eine Außenhaut überzieht, ist bereits relativ gut erforscht. Bekannt ist etwa, dass die CHCs – abgekürzt von der englischen Bezeichnung Cuticular Hydrocarbons – aus mehreren Dutzend bis über hundert verschiedenen Verbindungen bestehen und dass jede Ameisenart ihre eigene, unverwechselbare Kohlenwasserstoffmischung besitzt. Die chemische Zusammensetzung der Kohlenwasserstoffe ist ausschlaggebend für ihren Informationsgehalt, beeinflusst aber auch, wie gut die Schicht vor Austrocknung schützt. „Die Substanzen müssen also verschiedene Funktionen gleichzeitig erfüllen, was einen Konflikt darstellen kann“, so Menzel.

Mit der Chemikerin Dr. Svenja Morsbach vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz und der Physikerin Dr. Bérengère Abou vom Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris hat Menzel nun die physikalischen Eigenschaften der Wachsschicht untersucht, insbesondere wann die Kohlenwasserstoffe schmelzen und welche Fließeigenschaften sie haben. Beides war in der bisherigen Forschung kaum ein Thema.

Viskosität vergleichbar mit Motorenöl

Eine besondere Herausforderung war es, für derart kleine Mengen die geeigneten Methoden zu finden. Zur Erfassung der Fließeigenschaften hatte Abou ein neues mikrorheologisches Verfahren entwickelt. Die Viskosität der Wachsschicht, so das Ergebnis, entspricht in etwa der von Motorenöl. Obwohl komplett verschiedene Substanzgemische untersucht wurden – in die Untersuchung gingen die CHCs von elf verschiedenen Ameisenarten ein –, war die Viskosität bei allen Arten sehr ähnlich. Das Forscherteam erklärt diese Ähnlichkeit damit, dass womöglich ein bestimmtes Maß an Zähflüssigkeit beziehungsweise Flüssigkeit notwendig ist, um sicherzustellen, dass Kommunikationssignale ausgetauscht werden können.

Chemische Zusammensetzung der CHCs alleine sagt nichts aus über Schutz vor Austrocknung

Das Schmelzverhalten der Kohlenwasserstoffe wurde mittels Dynamischer Differenzkalorimetrie am Max-Planck-Institut für Polymerforschung ermittelt. „Wir waren von den Ergebnissen sehr überrascht, da viele Studien bisher davon ausgingen, dass die CHC-Schicht bei normaler Umgebungstemperatur komplett fest ist oder die Frage gar nicht beachtet hatten“, sagt Menzel. In dem gesamten Schmelzbereich zwischen minus 45 und bis zu plus 40 Grad Celsius liegen die Kohlenwasserstoffe als Mischung aus flüssigen und festen Bestandteilen vor. Menzel zufolge ist dieses Flüssig-Fest-Gemisch wichtig, um beide Funktionen zu gewährleisten. „Genaugenommen besteht wahrscheinlich ein Konflikt zwischen den Funktionen Austrocknungsschutz und Kommunikation, was die Evolution der CHCs besonders spannend macht“, so der Biologe. Das Schmelzverhalten der CHCs, das direkt von der chemischen Zusammensetzung abhängt, wäre demnach eine der wichtigsten Eigenschaften für die biologische Funktionalität der Wachsschicht: Es bestimmt, wie gut die Wachsschicht bei verschiedenen Temperaturen vor Austrocknung schützt – und beeinflusst gleichzeitig den Austausch von Signalen. Dies gilt nicht nur für Ameisen, sondern höchstwahrscheinlich auch für fast alle anderen Insekten.

Als nächstes möchte Menzel mit seinem Team der Frage nachgehen, wie sich Viskosität und Schmelzverhalten von Kohlenwasserstoffen ändern, wenn die Ameisenarten über einen längeren Zeitraum von etwa drei Wochen wechselnden Temperaturen ausgesetzt werden. Eine solche Akklimatisierung kann überlebenswichtig für ein Insekt sein, wenn sich die Temperaturen und ändern und damit auch die Austrocknungsgefahr schwankt.

JGU


Originalpublikation:

Florian Menzel et al.: Communication versus waterproofing: the physics of insect cuticular hydrocarbons, Journal of Experimental Biology, 4. Dezember 2019, DOI: 10.1242/jeb.210807

https://jeb.biologists.org/content/222/23/jeb210807