In mehrzelligen Organismen verbinden sich Zellen zu Zellschichten, die die Oberflächen von Geweben und Organen bedecken und Strukturen im Körper voneinander abgrenzen. So umhüllt beispielsweise die Haut den gesamten Organismus, und eine Schicht aus Zellen, die die Blutgefäße auskleiden, bildet eine Grenze zwischen Blutstrom und Geweben. Spezielle Verbindungen zwischen benachbarten Zellen stellen dabei sicher, dass solche zellulären „Barrieren“ einerseits stabil und dicht sind – und den Körper und Organe vor infektiösen Erregern schützen – und dass sie andererseits für bestimmte Stoffe oder Zellen durchlässig sind. So können beispielsweise gelöste Nährstoffe in Organe transportiert werden oder Zellen des Immunsystems aus dem Blut zu einem Entzündungsherd ins Gewebe wandern.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster haben einen solchen Prozess jetzt bei heranreifenden Eizellen der Taufliege (Drosophila melanogaster) untersucht, die von einer Schicht aus Epithelzellen umhüllt werden und über diese Zellschicht Dotter bildende Proteine aufnehmen. Die Forschenden fanden heraus, dass die Epithelzellen an Kontaktstellen zwischen drei Zellen kontrolliert ihre Verbindungen lösen und die Dotterproteine durch die entstehenden Zwischenräume zur Eizelle transportiert werden. Dort, wo nur zwei Zellen aneinanderstoßen, bleiben die Zellverbindungen erhalten und das Gewebe somit insgesamt stabil. „Unsere Erkenntnisse tragen dazu bei, besser zu verstehen, wie zelluläre Barrieren funktionieren und während der Entwicklung umgebaut werden – dies bildet eine Grundlage dafür, Mechanismen krankhafter Prozesse zu entschlüsseln“, erklärt Prof. Dr. Stefan Luschnig, Entwicklungsbiologe und Leiter der Untersuchungen. Die Studie ist in der Fachzeitschrift „Developmental Cell“ erschienen.
Untersuchungen während der Eizellentwicklung bei der Taufliege
Wenn Substanzen durch eine Zellschicht transportiert werden, nehmen die Zellen sie entweder über ihre Membran auf der einen Seite der Zellschicht auf und geben sie auf der anderen Seite wieder ab – was sehr energieaufwändig ist – oder aber die Substanzen diffundieren durch die Zwischenräume zwischen den einzelnen Zellen. Von anderen Insekten war bereits bekannt, dass der Transport von Dotterproteinen in die Eizellen insbesondere durch die Zwischenräume der Epithelzellen erfolgt, die die Eizellen umhüllen – diese Erwartung bestätigte sich in den neuen Untersuchungen auch für die Taufliege. Welche Veränderungen in den Zellen zur Öffnung der Zellzwischenräume führen, war jedoch nicht klar.
Um sich die zellulären Vorgänge live anschauen und molekulare Mechanismen dahinter analysieren zu können, markierten die Wissenschaftler bestimmte Proteine der Taufliege genetisch mit fluoreszierenden Molekülen, hielten die Eierstöcke in Gewebekulturen und untersuchten das lebende Gewebe mithilfe der konfokalen Laser-Scanning-Mikroskopie. Sie legten ihr Augenmerk auf Proteine, die auf der Oberfläche von Epithelzellen vorkommen und die Zellen mechanisch miteinander verbinden. Diese sogenannten Adhäsionsproteine halten den Zellverband zusammen und dichten die Zwischenräume zwischen Zellen ab.
Zellbarriere öffnet sich an Verbindungsstellen von drei Zellen
Die Wissenschaftler beobachteten, wie die Epithelzellen nacheinander vier verschiedene Adhäsionsproteine an ihren Membranen abbauten. „Dieser Prozess dauert mehrere Stunden, und erst wenn das letzte Protein verschwunden ist, öffnen sich die Zellzwischenräume“, erzählt Jone Isasti-Sanchez, Biologie-Doktorandin im Graduiertenkolleg des Sonderforschungsbereichs 1348 „Dynamische zelluläre Grenzflächen“ an der WWU und Erstautorin der Studie. Nachdem sich die Zellzwischenräume geöffnet haben, erfolgt über etwa 16 Stunden eine Aufnahme von Dotterproteinen in die Eizellen, und anschließend läuft der Öffnungsprozess rückwärts ab – die Zellzwischenräume schließen sich wieder. Die Forschenden wiesen nach, dass die Zellen ihre Kontaktstellen öffnen, indem sie die Adhäsionsproteine von der Oberfläche ins Zellinnere aufnehmen – ein grundlegender zellulärer Prozess, der sich Endozytose nennt. Eine wichtige neue Erkenntnis des Teams: Die Endozytose scheint verstärkt dort stattzufinden, wo drei Zellen aneinanderstoßen – das bedeutet, dass die Zellen nur dort ihre Verbindungen öffnen. Die Kontaktstellen zwischen zwei Zellen hingegen bleiben erhalten. „Dass dieser Prozess selektiv an den Dreizellkontakten und zudem in so geordneten Schritten abläuft, ist wahrscheinlich wichtig, damit das Gewebe nicht auseinanderfällt“, sagt Stefan Luschnig. Zudem müsse der Prozess vermutlich auch deshalb sehr kontrolliert geschehen, weil mit der Öffnung der Pforten eines Gewebes auch die Gefahr einhergehe, dass Krankheitserreger eindringen.
In ihren Experimenten erhöhten und reduzierten die Wissenschaftler zudem die Menge des Adhäsionsproteins E-Cadherin und konnten zeigen, dass die Menge dieses Proteins entscheidend dafür ist, wie weit sich die Zellzwischenräume öffnen. Darüber hinaus fanden sie heraus, dass die mechanische Spannung im Zellskelett eine Schlüsselrolle dafür spielt, ob die Zellzwischenräume sich öffnen: Diese Spannung wird von einer aus den Proteinen Aktin und Myosin bestehenden Struktur erzeugt, die den Zellumfang umschließt und sich ähnlich einem Gummiband zusammenziehen kann. Erhöhten die Forschenden die Aktivität von Myosin in der Zelle, zog sich das Zellskelett stärker zusammen, und dies verhinderte die Öffnung der Zellkontakte.
(Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Originalpublikation:
Isasti-Sanchez J, Münz-Zeise F, Lancino M, Luschnig S: Transient opening of tricellular vertices controls paracellular transport through the follicle epithelium during Drosophila oogenesis. Developmental Cell 2021: epub. DOI: 10.1016/j.devcel.2021.03.021
https://www.cell.com/developmental-cell/fulltext/S1534-5807(21)00261-6