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Pigmente, die mehr können

Versiegelte Serumflasche mit Clostridium thermocellum, welches mit Filterpapier als Kohlenstoffquelle wächst.
Versiegelte Serumflasche mit Clostridium thermocellum, welches mit Filterpapier als Kohlenstoffquelle wächst. Die Gelbe Affinitätssubstanz YAS bindet an Zellulose. Das Filterpapier wird während des Wachstums verbraucht. Copyright: Jana Krabbe, Leibniz-HKI

Die Aufklärung der Struktur und Herkunft der so genannten „Yellow Affinity Substance“ (YAS, „Gelbe Affinitätssubstanz“) liefert neue Erkenntnisse über den Zelluloseabbau durch das Bakterium Clostridium thermocellum (neuer Name: Acetivibrio thermocellus). Es wird vermutet, dass das gelbe Pigment eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung von pflanzlicher Biomasse in verwertbaren Zucker spielt, was neue Perspektiven für die Biokraftstoffproduktion ermöglicht. Außerdem eröffnet die Studie neue Ansätze in der Antibiotikaforschung. 

Anaerobe Bakterien – Meister des Überlebens ohne Sauerstoff

Anaerobe Bakterien gehörten zu den ersten Lebensformen auf der Erde und existierten bereits zu einer Zeit, als es noch keinen Sauerstoff in der Atmosphäre gab. Während viele Organismen zum Überleben auf eine sauerstoffreiche Umgebung angewiesen sind, gedeihen Anaerobier an Orten, an denen andere nicht überleben können – in völlig sauerstofffreien Lebensräumen wie dem menschlichen Darm oder dem Meeresboden. Die Enzyme dieser Bakterien sind sogar empfindlich gegenüber Sauerstoff. Ihre bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit zieht zunehmend die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich.

Anaerobe Bakterien produzieren oft ungewöhnliche Substanzen. Das macht sie für die Forschung und Biotechnologie besonders interessant, zum Beispiel für die Produktion von Antibiotika oder Biokraftstoffen. Außerdem sind sie unverzichtbare Akteure im natürlichen Nährstoffkreislauf, indem sie organisches Material wie Zellulose abbauen und Nährstoffe wieder an das Ökosystem abgeben.

Ein Signalstoff mit einer Schlüsselrolle

Clostridium thermocellum ist eines der bekanntesten anaeroben Mikroben, wenn es um den Abbau von Zellulose – dem Hauptbestandteil der pflanzlichen Zellwände – geht. Es wandelt Zellulose in Zucker um, die dann zur Herstellung von Biokraftstoffen wie Ethanol verwendet werden können. Ein auffälliges gelbes Pigment, das von dem Bakterium produziert wird (YAS – Yellow Affinity Substance), spielt bei diesem Prozess eine Schlüsselrolle. YAS lagert sich bevorzugt an Zellulosefasern an. Es wird angenommen, dass YAS dabei hilft, die abbauenden Enzyme genau dorthin zu steuern, wo Zellulose vorhanden ist.

Strukturanalyse von bakteriellen Pigmenten

Forschenden des Leibniz-Instituts für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (Leibniz-HKI) und des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena ist es nun erstmals gelungen, die molekulare Zusammensetzung von YAS aufzuklären. Die Wissenschaftler*innen fanden heraus, dass YAS aus mehreren Komponenten, sogenannten Celluxanthenen, besteht und bestimmten deren Molekülstrukturen durch spektroskopische Analysen (NMR, MS) und Isotopenmarkierungsexperimente. Darüber hinaus identifizierten sie durch gezielte genetische Manipulation das verantwortliche Biosynthese-Gencluster.

Ein Pigment mit medizinischem Potenzial?

Überraschenderweise zeigen die Pigmente eine Wirkung gegen bestimmte Mikroorganismen. Die Celluxanthene haben eine milde antibiotische Aktivität gegen Gram-positive Bakterien – darunter auch klinisch relevante, resistente Erreger. Das Verständnis der genetischen Grundlagen der Biosynthese eröffnet zudem die Möglichkeit, Celluxanthene in Zukunft zu produzieren oder zu verändern. Die Erstautor*innen Keishi Ishida und Jana Krabbe sehen vielversprechende Ergebnisse: „Obwohl die gelben Pigmente schon seit fast einem Jahrhundert bekannt sind, blieb ihre Struktur bisher ein Rätsel. Wir können nun damit beginnen, mögliche ökologische Funktionen zu untersuchen, zu denen auch die antibakterielle Aktivität zur Verteidigung der Nahrungsquelle (Zellulose) gegen Konkurrenten gehört.“

Ein Schritt in Richtung einer nachhaltigen Zukunft

Die Entdeckung und Charakterisierung der Celluxanthene schlägt eine Brücke zwischen unserem Verständnis des mikrobiellen Stoffwechsels und praktischen Anwendungen in der Energiebranche – und vielleicht in der medizinischen Forschung der Zukunft. Die Erkenntnisse könnten auch dazu beitragen, die Nutzung von Pflanzenbiomasse zu optimieren.

Die Forschung ist Teil des Projekts „AnoxyGen“, für das Christian Hertweck mit einem der angesehenen ERC Advanced Grants des Europäischen Forschungsrats ausgezeichnet wurde. Hertweck ist Abteilungsleiter am Leibniz-HKI und Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. „AnoxyGen zielt darauf ab, das verborgene Potenzial von anaeroben Bakterien zur Bildung neuer bioaktiver Naturstoffe zu erschließen“, erklärt Hertweck. „Viele dieser Mikroorganismen tragen in ihrem Genom Gene für die Produktion von wertvollen Verbindungen, die aber unter Standard-Laborbedingungen meist inaktiv bleiben.“ Das Team entwickelt neue molekularbiologische Methoden, um diese versteckten Biosynthesewege zu aktivieren – Methoden, die bisher hauptsächlich für aerobe (sauerstoffabhängige) Mikroben existieren. Ziel ist es, bisher unbekannte Naturstoffe mit medizinischem oder biotechnologischem Wert zu entdecken und nutzbar zu machen. AnoxyGen verbindet die moderne synthetische Biologie mit der Entdeckung von Wirkstoffen und könnte neue Möglichkeiten für die pharmazeutische Entwicklung eröffnen.

Das Projekt AnoxyGen trägt auch zum Exzellenzcluster „Balance of the Microverse“ bei, der die komplexen Signal- und Kommunikationsmechanismen innerhalb mikrobieller Gemeinschaften untersucht, die das Leben auf der Erde bestimmen.

Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie - Hans-Knöll-Institut 


Originalpublikation:

Ishida K, Krabbe J, Meisinger PR, Shabuer G, Schieferdecker S, Cyrulies M, Tank C, Barnes E, Paetz C, Hertweck C (2025) Discovery and Biosynthesis of Celluxanthenes, Antibacterial Arylpolyene Alkaloids from Diverse Cellulose-Degrading Anaerobic Bacteria. Angew Chem Int Ed 64 (24), e202503697, https://doi.org/10.1002/anie.202503697