Zwei von fünf Pflanzenarten weltweit sind vom Aussterben bedroht. Angesichts des Klimawandels wird es dringender denn jemals zuvor zu verstehen, weshalb bestimmte Arten stärker bedroht sind, während andere sich durchsetzen. Frühere Studien, die den Zusammenhang von Klima und den Überlebensraten von Pflanzen untersuchten, beobachteten relativ geringe Auswirkungen. Das führte mitunter zu der Schlussfolgerung, dass andere Faktoren, wie eine veränderte Landnutzung, bisher einen deutlich stärkeren Einfluss haben als klimatische Elemente wie Temperatur oder Niederschlag. Doch diese Annahme basiert möglicherweise auf einem zu kurzen Zeitfenster, das für die Beobachtungen zugrunde gelegt wurde. „Die meisten Forschenden gehen davon aus, dass Pflanzenpopulationen innerhalb von zwölf Monaten auf das Klima reagieren. Und dieses Zeitfenster nutzen sie auch für ihre Modelle, um die Reaktionen der Pflanzen zu analysieren“, sagt Erstautorin Sanne Evers, die bei iDiv und an der MLU forscht.
Klimatische Bedingungen während Ruheperioden oft vernachlässigt
Für seine Studie analysierte das Team unter Leitung von iDiv, MLU und UFZ 76 wissenschaftliche Veröffentlichungen, die Klimaelemente und die Entwicklung von 104 Pflanzenarten zueinander in Beziehung setzten. Die Forscherinnen und Forscher fanden heraus, dass 85 Prozent der Studien lediglich Zeitfenster von einem Jahr berücksichtigten, oftmals konzentrierten sie sich sogar nur auf die Vegetationsperiode (z.B. Frühling bzw. Sommer). Allerdings: „Auch das Klima während der Ruheperiode oder das Klima vorhergehender Jahre können einen Einfluss auf das Überleben, das Wachstum und die Fortpflanzung von Pflanzen haben. Zum Beispiel gibt es Arten, die während der Ruheperioden deutlich wachsen, zumindest in Regionen, in denen die Temperaturen nicht unter 5 Grad Celsius sinken. Außerdem dauert es manchmal Jahre, bis Pflanzen aufgrund der Schäden sterben, die ihnen eine Dürreperiode zugefügt hat“, sagt Letztautor Aldo Compagnoni von iDiv und MLU.
Um herauszufinden, welche Kombination verschiedener Klimaelemente und Zeitfenster am aussagekräftigsten ist, untersuchten die Forschenden in einem weiteren Schritt vier besonders umfangreiche Langzeitdatensätze: für die fünfnervige Zwergsonnenblume (Helianthella quinquenervis) und den grünen Enzian (Frasera speciosa), die vorrangig im Gebirge vorkommen, sowie für den Stauden-Feigenkaktus (Cylindropuntia imbricata) und den gelben Cryptanth (Cryptantha flava), die in eher trockenen Regionen zu finden sind. „Für diese Pflanzenarten standen uns zwischen 15 und 47 Jahre an Daten zur Verfügung. Und obwohl sie alle gleichermaßen mehrjährige Pflanzen sind, kommen sie doch aus sehr verschiedenen Lebensräumen mit klar erkennbaren Jahreszeiten“, erklärt Sanne Evers.
Klimastress erst nach Jahren sichtbar
Die Ergebnisse sind eindeutig: In vielen Fällen kann es Jahre dauern, bis Pflanzen deutliche Reaktionen auf das Klima zeigen. „Klimaelemente, die ganz oder teilweise außerhalb der Vegetationsperiode lagen und die Entwicklung der Pflanzen beeinflussen, sind eher die Regel als eine Ausnahme“, sagt Koautorin Tiffany Knight, Professorin an der MLU und Leiterin einer Arbeitsgruppe bei UFZ und iDiv. „Das lässt sich anhand der physiologischen Merkmale mancher Pflanzen erklären. Zum Beispiel dauert es in alpinen Regionen bis zu vier Jahre, bis Blätter oder Blüten einer Pflanze wie dem grünen Enzian (F. speciosa) zur Reife gelangen.“ Entsprechend können auch erkennbare Auswirkungen von klimatischem Stress, der die Ausbildung dieser Strukturen im frühen Stadium beeinflusst hat, bis zu vier Jahre auf sich warten lassen.
Wenngleich im Rahmen der Studie die Auswirkungen zurückliegender klimatischer Einflüsse auf Pflanzen untersucht wurden, lassen sich aus den Ergebnissen wichtige Schlussfolgerungen zum Einfluss des zukünftigen Klimas auf Pflanzen ableiten. Die Studie zeigt, dass die Reaktionen von Pflanzen auf das Klima überaus komplex sind und sich über lange Zeiträume erstrecken können. Weitere Experimente und Beobachtungen terrestrischer Ökosysteme sind notwendig, um zuverlässige Szenarien für die Entwicklung der Pflanzenarten zu erstellen, die wichtig für das menschliche Wohlbefinden sind.
iDiv
Originalpublikation:
Sanne M. Evers, Tiffany M. Knight, David W. Inouye, Tom E. X. Miller, Roberto Salguero-Gómez, Amy M. Iler, Aldo Compagnoni (2021). Lagged and dormant-season climate better predict plant vital rates than climate during the growing season. Global Change Biology, DOI: 10.1111/gcb.15519