Göttinger Grundlagenforscher um Prof. Dr. Peter Rehling, Direktor des Instituts für Zellbiochemie an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), Sprecher des Sonderforschungsbereichs SFB 1190 „Transportmaschinen und Kontaktstellen zellulärer Kompartimente“ und Mitglied des Göttinger Exzellenzclusters „Multiscale Bioimaging: Von Molekularen Maschinen zu Netzwerken erregbarer Zellen“ (MBExC) sind nun einen Schritt weiter. Sie haben eine neue Methode entwickelt, die es zum ersten Mal erlaubt, die Proteinbildung in den Kraftwerken experimentell zu verändern. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse ermöglichen auch Rückschlüsse auf die Entstehung „Mitochondrialer Erkrankungen“. Die Technik wurde kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift „Cell“ veröffentlicht.
Forschung im Detail
Im Prozess der mitochondrialen Genexpression regulieren vielfältige Faktoren die Bildung von Proteinen (Translation) für die Atmungskette. Störungen in diesem Prozess werden mit einer Vielzahl von Krankheiten in Verbindung gebracht, darunter Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Erkrankungen des Nervensystems. „Um Ansätze entwickeln zu können, mit denen sich krankheitsrelevante Störungen verhindern lassen, müssen wir zunächst die molekularen Mechanismen der Genexpression in Mitochondrien verstehen. Dafür sind reduktionistische Ansätze unverzichtbare Werkzeuge“, sagt Prof. Rehling, Seniorautor der Publikation. „Sie ermöglichen es uns, biologische Prozesse auf verschiedenen Ebenen zu zerlegen und auf diese Weise die Funktion einzelner beteiligter Komponenten zu untersuchen.“ Solche experimentellen Strategien fehlten bisher. Ein Haupthindernis für ihre Entwicklung liegt in der Tatsache, dass Mitochondrien nicht ohne Weiteres genetisch zugänglich sind. Um dieses Problem zu lösen, haben die Göttinger Wissenschaftler*innen eine völlig neue Technik entwickelt: Sie erlaubt es ihnen, die Translation in gereinigten Mitochondrien gezielt zu verändern. Durch die Verwendung kleinster Mengen eines modifizierten mitochondrialen Vorläuferproteins, das sie effizient in gereinigte menschliche Mitochondrien einschleusen, gelingt es ihnen, die Bildung einzelner Proteine in den Mitochondrien zu verhindern. „Mit Hilfe dieses in vitro Systems können wir nun untersuchen, wie sich der Verlust der Expression einer einzelnen mRNA auf die Physiologie und Organisation von Mitochondrien auswirkt, und das mit minimalem indirekten Einfluss auf andere Prozesse“, sagt Dr. Luis Daniel Cruz-Zaragoza, Wissenschaftler am Institut für Zellbiochemie, UMG, und Erstautor der Studie. Mehr noch: Die Wissenschaftler*innen konnten die Technik auch leicht auf gereinigte Mitochondrien von Mäusen übertragen, ein Hinweis darauf, dass sie auch im Kontext von Krankheitsmodellen anwendbar ist. Diese neue experimentelle Strategie ist also auch für die klinische Forschung bedeutsam. Störungen in der mitochondrialen Genexpression können schwere Erkrankungen des Nervensystems und des Herzens zur Folge haben, die häufig tödlich verlaufen.
Universität Göttingen
Originalveröffentlichung:
An in vitro system to silence mitochondrial gene expression. Cruz-Zaragoza LD, Dennerlein S, Linden A,Yousefi R, Lavdovskaia E, Aich A Falk RR, Gomkale R, Schöndorf T, Bohnsack MT, Richter-Dennerlein R, Urlaub H, Rehling P (2021) Cell, 184, 1-14. doi: 10.16/j.cell.2021.09.033.
https://doi.org/10.1016/j.cell.2021.09.033