In jeder Zelle sorgt ein fein abgestimmtes Netzwerk dafür, dass lebenswichtige Moleküle genau dann gebildet, abgebaut oder in ihrer Produktion gestoppt werden, wenn es für die reibungslose Funktion der Zelle erforderlich ist. Eine Schlüsselfunktion in diesem Netzwerk übernimmt der Folat-Stoffwechsel: Er liefert die chemischen Grundeinheiten, die unter anderem für die Herstellung von DNA, RNA und Aminosäuren nötig sind. Wird dieses Gleichgewicht gestört, etwa durch genetische Veränderungen oder einen Mangel an Folaten in der Ernährung, kann dies zu schweren Entwicklungsstörungen oder sogar Krebs führen.
Nun haben Forscher:innen um Stefan Kubicek, Principal Investigator am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, gemeinsam mit dem Team von Kilian Huber an der University of Oxford, einen bislang unbekannten Regulator in diesem System gefunden: das Enzym NUDT5. Ihre Arbeit zeigt, dass NUDT5 die Produktion von Purinen – wichtigen Bestandteilen des Erbguts - beendet, sobald genug davon in der Zelle vorhanden sind. Doch NUDT5 wirkt dabei nicht über seine biochemische Aktivität, wie man es von einem Enzym erwarten würde, sondern blockiert physisch eine Schlüsselfunktion im Syntheseweg, sobald Purine im Überfluss vorhanden sind.
Eine neue Rolle für ein bekanntes Enzym
Purine sind die Grundbausteine von DNA und RNA, und wichtige Metaboliten im zellulären Energiehaushalt . Sie werden von den Zellen entweder wiederverwertet oder über den sogenannten de-novo-Weg von Grund auf neu hergestellt – ein energieintensiver Prozess, der streng reguliert werden muss.
Um diese Regulation besser zu verstehen, untersuchte das Team Zellen mit Mutationen im MTHFD1-Gen, das ein zentrales Enzym des Folat-Stoffwechsels codiert. Der Folatzyklus liefert Moleküle mit einem Kohlenstoffatom, die für die Purinsynthese erforderlich sind. Defekte in diesem System führen zu seltenen genetischen Erkrankungen und beeinflussen das Krebsrisiko.
Durch eine Kombination aus genetischen Screens, Metabolomik und chemischer Biologie entdeckten die Forschenden, dass NUDT5 mit einem anderen Enzym, PPAT, zusammenarbeitet – jenem Enzym, das den ersten Schritt der Purinsynthese katalysiert. Wenn die Purinspiegel steigen, bindet sich NUDT5 an PPAT und scheint es in eine inaktive Form zu versetzen, was zur Einstellung der zelleigenen Purin-Produktion führt.
Überraschenderweise bleibt diese Funktion auch dann erhalten, wenn NUDT5 seine enzymatische Aktivität verliert. Selbst wenn das aktive Zentrum chemisch blockiert oder genetisch verändert wurde, regulierte das Protein die Purinsynthese weiterhin zuverlässig. Erst wenn NUDT5 vollständig entfernt wurde – durch genetisches Knockout oder ein neu entwickeltes Molekül, das gezielt NUDT5 abbaut – ging diese Kontrollfunktion verloren.
Ein Schalter mit medizinischer Bedeutung
Die Ergebnisse liefern neue Einblicke in die Art und Weise, wie Zellen Veränderungen ihres Stoffwechsels erkennen und darauf reagieren.„NUDT5 galt bisher als Enzym, das Stoffwechselprodukte abbaut“, sagt Stefan Kubicek, Principal Investigator am CeMM und Seniorautor der Studie. „Unsere Arbeit zeigt jedoch, dass es zugleich eine strukturelle Rolle übernimmt – es wirkt als Regulator, der entscheidet, ob die Zelle weiterhin Purine produziert oder nicht.“
Diese neu entdeckte Funktion könnte auch erklären, warum manche Zellen unempfindlich gegenüber bestimmten Krebsmedikamenten werden. „Viele Chemotherapien, etwa 6-Thioguanin, ahmen Purinmoleküle nach und blockieren so die DNA-Synthese“, erklärt Tuan-Anh Nguyen, Co-Erstautor der Studie. „Wir haben festgestellt, dass Zellen, bei denen die Wechselwirkung zwischen NUDT5 und PPAT gestört ist, weniger empfindlich auf diese Behandlungen reagieren. Das legt nahe, dass Mutationen in NUDT5 zur Resistenz von Tumoren gegen bestimmte Medikamente beitragen könnten.“ Ähnliche Beobachtungen machte auch das Labor von Ralph DeBerardinis, dessen Ergebnisse in derselben Science-Ausgabe veröffentlicht wurden.
Darüber hinaus verbindet die Studie den Folat-Stoffwechsel, die Purinsynthese und Krankheiten, die durch MTHFD1-Mutationen verursacht werden – ein seltenes genetisches Syndrom, das das Immunsystem beeinträchtigt. „Da die Folat- und Purinwege eng miteinander verflochten sind, kann ein besseres Verständnis dieser Regulation langfristig neue therapeutische Ansätze eröffnen“, so Jung-Ming George Lin, Co-Erstautor der Studie.
Die Zusammenarbeit mit dem Oxford-Labor von Kilian Huber ermöglichte außerdem die Anwendung eines dort entwickelten chemischen Degraders namens dNUDT5, der NUDT5 gezielt abbaut. Dieses Werkzeug wird künftig helfen, den Mechanismus im Detail zu erforschen – und könnte langfristig sogar den Weg zu Strategien ebnen, die gesunde Zellen vor den Nebenwirkungen bestimmter Chemotherapien schützen.
„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Enzyme nicht nur über chemische Reaktionen wirken können, sondern auch über ihre Struktur“, fasst Kubicek zusammen. „Manchmal ist allein ihre physische Präsenz entscheidend.“
(CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften)
Tuan-Anh Nguyen, Jung-Ming G. Lin, Anne-Sophie M. C. Marques, Maximilian Fottner, Ludwig G. Bauer, Andreas Reicher, Diana Daum, Lorenzo Scrofani, Yusi Liu, Carol Cheng, Luna D’Angelo L.d.D., Juan Sanchez, Christoph Bueschl, Nara Marella, Pisanu Buphamalai, Florian Traversi, Maša Bereš, Herwig P. Moll, Marton Siklos, Jakob-Wendelin Genger, Gerald Hofstaetter, Ludovica Villanti, Monika Malik, Christoph Klimek, Kathrin Runggatscher, Bettina Guertl, Jesper S. Hansen, Sarah Dobner, Olga Babosova, Tina Becirovic, Laura P. M. H. de Rooij, Emilio Casanova, Anna Koren, D. Sean Froese, David S. Rosenblatt, Kristaps Klavins, Andreas Bergthaler, Jörg Menche, J. Thomas Hannich, Miriam Abele, Sara Sdelci, Kathrin Lang, Kilian V. M. Huber und Stefan Kubicek.
„A non-enzymatic role of Nudix hydrolase 5 in repressing purine de novo synthesis“
Science am 6. November 2025. DOI: 10.1126/science.adv4257





