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Wie HIV ins Erbgut gelangt

  Die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme zeigt eine menschliche Immunzelle – auf ihrer Oberfläche haften zahlreiche gelb eingefärbte HIV-1-Viruspartikel
Die rasterelektronenmikroskopische Aufnahme zeigt eine menschliche Immunzelle – auf ihrer Oberfläche haften zahlreiche gelb eingefärbte HIV-1-Viruspartikel. © NIAID

Einen bislang unbekannten Mechanismus, mit dem HIV-1 seine Integrationsorte im menschlichen Erbgut gezielt auswählt, wurde jetzt von Forschenden entschlüsselt. Sie konnten nachweisen, dass RNA:DNA-Hybride (R-Loops) als molekulare Wegweiser für das Virus dienen. Diese Erkenntnisse legen eine zentrale Schwachstelle im Lebenszyklus von HIV-1 offen. Die Ergebnisse liefern neue therapeutische Ansatzpunkte, um HIV-Reservoire im Körper gezielt zu kontrollieren. Dies ist bislang eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu langfristigen oder heilenden HIV-Therapien. 

Dank antiretroviraler Therapien können Menschen mit einer HIV-Infektion heute meist ein nahezu normales Leben führen. Die antiretroviralen Medikamente verhindern die Vermehrung des HI-Virus, erfordern jedoch eine lebenslange und tägliche Einnahme. Behandlungsunterbrechungen – sei es durch eingeschränkten Zugang, Lieferengpässe oder mangelnde Therapietreue – führen jedoch häufig zu einem schnellen Wiederanstieg der Viruslast und begünstigen die Entstehung resistenter HIV-Stämme.

Das HI-Virus infiziert vorwiegend Zellen des Immunsystems: Es verankert sein Erbgut insbesondere in den T-Zellen und bildet dort ein lebenslanges Infektionsreservoir. Das Enzym HIV-1-Integrase baut das genetische Material des Virus dauerhaft in das Erbgut der infizierten Wirtszelle ein. Durch die Integration wird die Wirtszelle gezwungen, neue Viren zu produzieren – was den Infektionsprozess weiter fortsetzt. „Wie HIV-1-Integrase ihre Zielstellen im Genom auswählt, war bislang nicht vollständig geklärt. Ein tieferes Verständnis dieses Vorgangs ist entscheidend, um neue Behandlungsstrategien zu entwickeln und die persistierenden viralen Reservoirs anzugehen, die durch bestehende Therapien nicht eliminiert werden“, sagt Dr. Marina Lusic, DZIF-Wissenschaftlerin am Center for Integrative Infectious Disease Research (CIID) am Universitätsklinikum Heidelberg und Leiterin der Studie.

RNA:DNA-Hybride als Wegweiser für die Virusintegration

Das Forschungsteam konnte zeigen, dass HIV-1 nicht willkürlich ins Erbgut eindringt, sondern bestimmte Wegweiser nutzt: sogenannte RNA:DNA-Hybride oder „R-Loops“, die vor allem in nicht-codierenden Abschnitten aktiver Gene entstehen. In menschlichen Immunzellen kartierten die Forschenden diese Strukturen und wiesen nach, dass die virale Integrase genau dort andockt. „Das Virus folgt diesen Strukturen wie Wegweisern auf einer Landkarte und findet so die passenden Integrationspunkte“, erklärt Dr. Carlotta Penzo, leitende Postdoktorandin im Team von Dr. Marina Lusic und Erstautorin der Studie. „Ein weiteres wichtiges Ergebnis unserer Untersuchung ist, dass ein spezifischer zellulärer Partner, das Enzym Aquarius, dem Virus bei der Erkennung von R-Loops hilft und so die Integration von HIV-1 in RNA:DNA-Hybride erleichtert.“

Das Enzym RNA-Helikase Aquarius (AQR) spielt in diesem Prozess eine Schlüsselrolle. Das Enzym fungiert als eine Art Türöffner: Es verbindet sich mit der HIV-1-Integrase und fördert die Integration, indem es die R-Loops entwindet. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Eliminierung von AQR dazu führt, dass die Integrationsrate deutlich abnimmt. Die verbleibenden Integrationsereignisse verlagern sich in R-Loop-arme Regionen – ein klarer Beleg für das Zusammenspiel von viraler Integration und AQR-Aktivität an R-Loops“, so Penzo.

„Diese Entdeckung eröffnet eine völlig neue Perspektive für zukünftige HIV-Therapien. Wenn es uns gelingt, die Fähigkeit des Virus zu stören, RNA-Strukturen der Wirtszelle für die Integration zu nutzen, könnten wir gezielt verhindern, wo sich HIV im Genom versteckt – und somit den Weg zu einer langfristigen oder sogar heilenden Therapie ebnen“, sagt Dr. Marina Lusic. „Diese Erkenntnisse gewinnen besondere Bedeutung angesichts der zunehmenden globalen Instabilität in der HIV-Versorgung. In vielen Regionen ist die kontinuierliche Bereitstellung antiretroviraler Therapien nicht gesichert – mit der Folge, dass Unterbrechungen das Risiko von Therapieversagen und der Verbreitung resistenter Virusvarianten deutlich erhöhen.“

Die Studienergebnisse zeigen bislang unbekannte Angriffspunkte zur Bekämpfung des HI-Virus auf. Langfristig könnte der identifizierte R-Loop/Aquarius-Mechanismus dabei helfen, HIV-Reservoire im Körper gezielt anzugehen, welche bislang durch bestehende Therapien nicht eliminiert werden – und somit neue Wege zu wirksamen, möglicherweise sogar heilenden Behandlungsformen aufzeigen.

Förderung und internationale Zusammenarbeit

Diese Studie wurde durch das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) sowie durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen des Sonderforschungsbereichs SFB 1129 gefördert. Sie entstand in enger, multidisziplinärer Zusammenarbeit unter der Leitung von Dr. Marina Lusic, mit Beteiligung von Kolleg:innen am Center for Integrative Infectious Disease Research (CIID), Heidelberg, darunter Prof. Oliver Fackler und Prof. Hans-Georg Kräusslich. Darüber hinaus wurde die Studie durch eine enge paneuropäische Zusammenarbeit ermöglicht, mit Beiträgen von Expert:innen in Bioinformatik, Strukturbiologie und Retrovirologie aus Forschungsinstitutionen in Zagreb, Padua, London und Bordeaux.

Deutsches Zentrum für Infektionsforschung


Originalpublikation:

Penzo, C., Özel, I., Martinovic, M. et al. Aquarius helicase facilitates HIV-1 integration into R-loop enriched genomic regions. Nat Microbiol10, 2306–2322 (2025). doi.org/10.1038/s41564-025-02089-2

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