Das Klimasystem unseres Planeten ist komplex. Verschiedene Komponenten, wie Atmosphäre, Ozean, Eis oder Land beeinflussen sich gegenseitig und führen zu natürlichen Klimaschwankungen auf ganz unterschiedlichen Zeithorizonten von Monaten bis zu Jahrzehnten. Insbesondere auf den langen Zeitskalen spielt der Ozean eine zentrale Rolle. In der jetzt vorgelegten Studie unter Federführung des GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung Kiel ist die Möglichkeit untersucht worden, durch Schwankungen des Windfeldes verursachte Änderungen der Meeresoberflächentemperaturen im Nordatlantik über Jahre hinaus vorherzusagen. Solche Schwankungen der Wassertemperatur haben auch das Potential das Klima in Europa zu beeinflussen.
„Vorhersagen von Klimaschwankungen sind für einige Regionen der Erde durchaus möglich“, erläutert Dr. Annika Reintges, vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Hauptautorin der Studie, die jetzt in den Geophysical Research Letters erschienen ist. Ein Beispiel ist das alle paar Jahre wiederkehrende El Niño Phänomen im Tropischen Pazifik, das sich durchaus einige Monate im voraus vorhersagen lässt. „In unserer Studie geht es zum einen um längere Zeiträume und zum anderen um eine Region, in der die natürliche Variabilität auf Zeiträumen von Jahrzehnten deutlich höher ist, als in den Tropen“, so Reintges weiter.
Sind solche Vorhersagen überhaupt möglich? Was braucht man dafür und welche Aussagen liefern solche Vorhersagen? Diesen Fragen sind die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom GEOMAR und dem Institut für Ostseeforschung in Warnemünde nachgegangen. „Ja, Langzeitprognosen sind möglich. Das verdanken wir den langsamen, über mehrere Jahre schwankenden Ozeanprozessen“, erläutert Dr. Reintges. Die Schwierigkeit ist, dass man möglichst realistische Ozeanbeobachtungen für den Start der Modellrechnungen benötigt. Diese sind aber in Menge und Qualität insbesondere unterhalb der Meeresoberfläche sehr begrenzt, sagt Reintges.
„Für die Vorhersagen in unserer Studie haben wir keine Ozeanbeobachtungen benutzt. Stattdessen erzeugen wir die ozeanischen Startwerte, indem wir lediglich die beobachteten Schwankungen der Winde an der Meeresoberfläche vorgeben. Dies versetzt den Modellozean nach einem gewissen Zeitraum in einen Zustand der realistisch genug ist, um davon ausgehend erfolgreich Vorhersagen der Meeresoberflächentemperaturen sogar für mehr als 7 Jahre zu starten“, erklärt die Autorin.
Dabei haben die Forschenden folgenden Mechanismus vorgeschlagen: Die Winde verursachen eine Änderung der Ozeanzirkulation. Dadurch wird in einem bestimmten Bereich des Nordatlantiks außergewöhnlich viel Wärme angesammelt. Diese Wärme wird über einen Zeitraum von mehreren Jahren nach Nordosten transportiert. Das Resultat ist, dass eine Erwärmung der Meeresoberfläche im östlichen Nordatlantik eintritt, als Reaktion auf die Winde von vielen Jahren zuvor.
„Aus anderen Studien wissen wir, dass die Oberflächentemperatur des Nordatlantiks auch das Klima Europas beeinflussen kann. Deswegen sind solche Vorhersagen der nordatlantischen Oberflächentemperatur, die mehrere Jahre in die Zukunft reichen, auch von großer Bedeutung für Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, und natürlich auch für die Öffentlichkeit“, so Dr. Reintges abschließend.
(GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel)
Originalpublikation:
Reintges, A., M. Latif, M. H. Bordbar, and W. Park, 2020: Wind stress-induced multiyear predictability of annual extratropical North Atlantic sea surface temperature anomalies. Geophysical Research Letters, https://doi.org/10.1029/2020GL087031