Der Golfstrom, der warmes Wasser aus dem Golf von Mexiko zu uns nach Europa trägt und für mildes Klima sorgt, ist nur ein Teil eines größeren ozeanischen Strömungssystems, der Atlantischen Umwälzzirkulation. Diese wird von Fachleuten als „Atlantic Meridional Overturning Circulation“ oder kurz AMOC bezeichnet. Sie durchzieht den Atlantischen Ozean wie eine große Klimamaschine: Während warmes Wasser aus den Tropen an der Oberfläche nach Norden transportiert wird, kehrt sich der Strom im Nordatlantik um: Das Wasser kühlt ab, wird schwerer und strömt in der Tiefe gen Süden.
Wo genau diese Absinkprozesse stattfinden ist immer wieder Gegenstand aktueller Forschung, jüngste Messprogramme verorten sie östlich von Grönland. Ein Team von Wissenschaftler:innen des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel hat jetzt in einer Modellierungsstudie speziell das Meeresgebiet südwestlich von Grönland in den Blick genommen: die Labradorsee. In ihrer Studie, die jetzt im Fachjournal Nature Communications erschienen ist, können die Forschenden mithilfe aufwändiger Computer-Simulationen zeigen, dass die dortigen Schwankungen einen deutlichen Einfluss auf die Stärke der Absinkvorgänge östlich von Grönland haben können. Ein wichtiges Bindeglied stellt dabei ein bislang wenig beachtetes System von Tiefenströmungen dar, das für eine rasche Ausbreitung des Labradorsee-Wassers in das Tiefseebecken zwischen Grönland und Island sorgt.
„Die Labradorsee zwischen Kanada und Grönland haben wir Ozeanographen schon seit langem im Visier“, sagt Professor Dr. Claus Böning, der die Untersuchung geleitet hat, „Winterstürme mit eisiger Luft lassen hier die Meerestemperaturen so weit abkühlen, dass das Oberflächenwasser schwerer als das darunter liegende Wasser wird. Die Folge ist eine tiefreichende winterliche Vermischung der Wassersäule, wobei Volumen und Dichte der dabei gebildeten Wassermasse von Jahr zu Jahr stark schwanken können.“
In den Modellsimulationen, die die vergangenen 60 Jahre abbilden, stachen vor allem die Jahre von 1990 bis 1994 heraus, in denen sich die Labradorsee besonders stark abgekühlt hat. „Das damals infolge extrem harscher Winter gebildete außergewöhnlich große Volumen von Labradorsee-Wasser mit sehr hoher Dichte führte in den Folgejahren zu deutlich verstärkten Absinkbewegungen zwischen Grönland und Island“, erläutert Claus Böning. Als Folge davon berechneten die Modellsimulationen einen um mehr als 20 Prozent erhöhten Transport der atlantischen Umwälzbewegung, mit maximalen Werten gegen Ende der 1990er-Jahre.
Die erst seit dem Jahr 2004 kontinuierlich durchgeführten Messungen der Umwälzbewegung im Nordatlantik würde danach genau in die Abklingphase des simulierten Transportmaximums fallen. „Nach unseren Modellergebnissen kann daher die in diesem Zeitraum beobachtete Abschwächung der Atlantikzirkulation zumindest zum Teil als Nachwirkung der extremen Labradorsee-Winter in den 1990ern interpretiert werden“, fasst Professor Dr. Arne Biastoch, Leiter der Forschungseinheit Ozeandynamik am GEOMAR und Ko-Autor der Studie die Erkenntnis zusammen. Er stellt aber klar: „Auch wenn wir auf Basis der bisherigen Ergebnisse derzeit noch nicht sagen können, ob bereits jetzt eine längerfristige Abschwächung der Umwälzbewegung erfolgt, sagen alle Klimamodelle eine Abschwächung als Folge des vom Menschen verursachten Klimawandels als ,sehr wahrscheinlich‘ für die Zukunft voraus.“
Die Fortführung kontinuierlicher Beobachtungsprogramme und die Weiterentwicklung der Simulationen sind entscheidend für ein besseres Prozessverständnis der klimatisch so wichtigen Schlüsselprozesse. Und natürlich für die zukünftigen Projektionen des Golfstromsystems unter dem Klimawandel.
GEOMAR
Originalpublikation:
Böning, C. W., P. Wagner, P. Handmann, F. U. Schwarzkopf, K. Getzlaff, and A. Biastoch, 2023, Decadal changes in Atlantic overturning due to the excessive 1990s Labrador Sea convection, Nat. Commun., 14, 4635, https://doi.org/10.1038/s41467-023-40323-9