Die arktische Ruderfußkrebsart Calanus glacialis hat ihren Lebenszyklus an die Verfügbarkeit von Eisalgen und Phytoplankton als Nahrungsquelle angepasst – die Geburt ihrer Jungtiere erfolgt daher während der Algenblüte in den Frühlingsmonaten. „Die Calanus-Arten bilden die Hauptbiomasse im zentralen Arktischen Ozean. Durch ihre Wanderungen in Tiefen von Hunderten von Metern sind sie ein wichtiger, wenn nicht der wichtigste, Bestandteil des Nahrungsnetzes für dortige fleischfressende Organismen und ein wesentlicher Bestandteil des marinen Kohlenstoffkreislaufes“, erläutert Prof. Dr. Angelika Brandt vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
Wie die winzigen Ruderfußkrebse sind auch viele weitere arktische Lebewesen auf Eisalgen und Untereis-Phytoplankton als Futterquelle angewiesen. Das Forscher*innen-Team rund um Brandt, Erstautorin Dr. Julia Ehrlich und Dr. Hauke Flores, Leiter der Feldarbeiten vom Alfred-Wegener-Institut Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforsschung (AWI), hat daher mit Meereiskernbohrungen und Untereisschleppnetzen untersucht, wie hoch diese Biomasse in der Region Spitzbergen tatsächlich ist und welche Rolle sie für den Kohlenstoffkreislauf spielt.
In ihrer Studie quantifizierten die Forscher*innen die Rolle der Meereis-Fauna als Quelle, Senke und Überträgerin im marinen Kohlenstoffkreislauf. „Wir konnten zeigen, dass die pflanzenfressenden Meereis-assoziierten Lebewesen, wie Ruderfußkrebse, Wimperntierchen oder larvale Krebse, den Kohlenstoffbedarf im gesamten Untersuchungsgebiet dominieren. Die durchschnittliche Primärproduktion von Eisalgen und Phytoplankton kann diese Nachfrage abdecken“, fügt Brandt hinzu. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass ein Anteil des Algenmaterials „übrig bleibt“ und so in tiefere Wasserschichten absinkt. Die fleischfressende Fauna profitiert wiederum von dem hohen Angebot an – gut mit Nahrung versorgten – Pflanzenfressern.
„Aktuell haben wir vor Spitzbergen eine ausgeklügelte, gut funktionierende Nahrungskette, die ihren Ursprung im Leben im und unter dem Eis hat“, resümiert Ehrlich und fährt fort: „Die arktischen Gewässer Spitzbergens sind allerdings mit massiven Umweltveränderungen konfrontiert: Die Klimaerwärmung führt zum Verlust des Meereises und zu einer ‚Atlantisierung‘ der Region. Diese Veränderung hat erhebliche Auswirkungen auf die mit dem Eisschild assoziierte Fauna – und damit auf das gesamte marine Ökosystem.“
Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum
Originalpublikation:
Ehrlich, J., et al. 2021. Sea-ice associated carbon flux in Arctic spring. Elem Sci Anth, 9: 1. DOI: https://doi.org/10.1525/elementa.2020.00169