VBIO

Umweltbedingungen beeinflussen Nachwuchsformen bei Schneckenart

Rasterelektronenenmikroskop-Aufnahme eines weniger als 0.5 Milimeter großen Jungtiers von Planaxis sulcatus aus dem Oman (Maßstab: 100 µm)
Rasterelektronenenmikroskop-Aufnahme eines weniger als 0.5 Milimeter großen Jungtiers von Planaxis sulcatus aus dem Oman (Maßstab: 100 µm). Foto: UHH/CeNak/Wiggering

In manchen Gegenden bringt die Meeresschnecke Planaxis sulcatus Larven zur Welt, in anderen dagegen bereits weiter entwickelte Jungtiere. Ein Forschungsteam um Benedikt Wiggering und Prof. Dr. Matthias Glaubrecht vom Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg weist nun in einer Studie im Fachjournal „BMC Evolutionary Biology“ erstmals nach, dass es sich bei den Tieren tatsächlich um ein und dieselbe Art handelt – und damit um eine besonders gute evolutionäre Anpassung an die Lebensbedingungen.

Sie sind hier:UHH > Newsroom > Presse > 2020 > Umweltbedingungen beeinflussen Nachwuchsformen bei Schneckenart

11. August 2020

Umweltbedingungen beeinflussen Nachwuchsformen bei SchneckenartCeNak-Studie zur Fortpflanzung bei Meeresschnecken

Foto: UHH/CeNak/Wiggering

Rasterelektronenenmikroskop-Aufnahme eines weniger als 0.5 Milimeter großen Jungtiers von Planaxis sulcatus aus dem Oman (Maßstab: 100 µm).

In manchen Gegenden bringt die Meeresschnecke Planaxis sulcatus Larven zur Welt, in anderen dagegen bereits weiter entwickelte Jungtiere. Ein Forschungsteam um Benedikt Wiggering und Prof. Dr. Matthias Glaubrecht vom Centrum für Naturkunde der Universität Hamburg weist nun in einer Studie im Fachjournal „BMC Evolutionary Biology“ erstmals nach, dass es sich bei den Tieren tatsächlich um ein und dieselbe Art handelt – und damit um eine besonders gute evolutionäre Anpassung an die Lebensbedingungen.

Poecilogonie bezeichnet das Phänomen, dass Tiere, die ausgewachsen kaum voneinander zu unterscheiden sind, eine ganz unterschiedliche Entwicklung durchlaufen haben. Es kommt nur bei wenigen wirbellosen Meerestieren vor. Die lebendgebärende Meeresschnecke Planaxis sulcatus ist eines der raren Beispiele: Während einige Nachkommen bereits als weit entwickelte Jungtiere geboren werden und sogar über ein jugendliches Schneckenhaus verfügen, werden andere noch als schwimmende Larven in die Meeresströmung entlassen, wo sie sich von Plankton ernähren.

In früheren Studien konnten diese unterschiedlichen Fortpflanzungsweisen bei weit voneinander entfernten Populationen im Persischen Golf sowie in Neuseeland beobachtet werden. Ein Team um Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, Direktor des Centrums für Naturkunde (CeNak), und Benedikt Wiggering, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand in der Abteilung „Biodiversität der Tiere“ des CeNak, hat nun die Brutstrategien der Schneckenart untersucht.

Die Forschenden untersuchten die Brutbeutel von insgesamt 365 Schnecken, um die Größe der darin enthaltenen Larven bzw. Jungtiere zu messen. Hierbei stellten sie fest, dass sich die Entwicklungsstadien der heranwachsenden Tiere je nach Region stark voneinander unterscheiden: Während im Westen bis zu 1,5 Millimeter große Nachkommen zu finden waren, befanden sich sämtliche Nachkommen im Osten der Stichprobe in einer frühen Entwicklungsphase.

Um sicherzustellen, dass es sich bei den Tieren nicht um unterschiedliche Arten oder gar eine Gruppe kryptischer Arten handelt, die sich äußerlich also nicht unterscheiden, aber keine Nachkommen zeugen können, nahmen die CeNak-Forschenden DNA-Proben einzelner Individuen. Bei der Untersuchung kam heraus, dass sich zwar drei Gruppen molekulargenetisch unterscheiden lassen. „Doch unsere Daten legen nahe, dass es sich um innerartliche Unterschiede und nicht um zwischenartliche handelt“, erläutert Wiggering. Damit sprechen die Befunde dafür, dass bei Planaxis sulcatus tatsächlich Poecilogonie vorliegt.

Für die Untersuchung wurden Tiere aus insgesamt 71 Populationen analysiert, die aus fünf verschiedenen Regionen des Indischen Ozeans und westlichen Pazifiks stammen und damit erstmals die gesamte Verbreitung der Art abdecken. Das Team selbst hat über Jahre hinweg Schnecken bei Expeditionen, etwa an der ostafrikanischen Küste, in Thailand, Indonesien und Australien gesammelt; die übrigen Proben stammen aus naturkundlichen Sammlungen großer Museen der ganzen Welt.

Das abweichende Heranwachsen der Tiere dürfte auf die unterschiedlichen Umweltbedingungen der jeweiligen Regionen zurückzuführen sein, vermutet Benedikt Wiggering: „Es ist gut möglich, dass beispielweise der höhere Salzgehalt des Meeres im Westindischen Ozean dazu geführt hat, dass die Nachkommen dort von ihren Müttern länger im Brutbeutel geschützt werden. Hingegen können Larven durch die geringere Salinität im Indo-Pazifik schon früher eigenständig überleben.“ Weitere Aufschlüsse sollen nun experimentelle Untersuchungen an lebenden Schnecken bringen. Bereits jetzt steht laut CeNak-Direktor Matthias Glaubrecht fest: „Wie viele andere Organismen leben auch diese Schnecken von der Vielfalt. Diversität ist gleichsam das Geheimrezept der Evolution. Und unsere Schnecken machen das geradezu lehrbuchhaft“.

Universität Hamburg


Originalpublikation:

Wiggering B, Neiber M T, Gebauer K, Glaubrecht M. 2020. One species, two developmental modes: a case of geographic poecilogony in marine gastropods. BMC Evolutionary Biology 20: Article Number 76.

https://doi.org/10.1186/s12862-020-01644-1