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Schüchterne Mäuse sind hartnäckige Problemlöser

  Eine Hausmaus bei dem gezielten Versuch, ein experimentell gestelltes Problem zu lösen.
Eine Hausmaus bei dem gezielten Versuch, ein experimentell gestelltes Problem zu lösen. © Alexandros Vezyrakis

Eine aktuelle Studie zeigt: Schüchterne Mäuse beschäftigten sich häufiger mit Problemlösungsaufgaben als ihre mutigen Artgenossen – und hatten dadurch mehr Erfolgschancen. Dabei spielt die Testumgebung eine entscheidende Rolle. Mäuse verhielten sich in naturnahen Umgebungen anders als im Labor – und das nicht immer vorhersehbar. Die Forschung zeigt, wie Persönlichkeit – insbesondere Eigenschaften wie Schüchternheit und Entdeckungsfreude – das Innovationsverhalten beeinflusst.

Das Forschungsteam um Alexandros Vezyrakis, gemeinsam mit Anja Guenther und Valeria Mazza, testete über 100 wildlebende Hausmäuse (Mus musculus domesticus) sowohl in naturnahen Gehegen als auch unter kontrollierten Laborbedingungen. Das Ergebnis:Schüchterne Mäuse kehrten häufiger zu den Aufgaben zurück – und erhöhten so ihre Erfolgschancen.

Beharrlichkeit statt Persönlichkeit

Die Studie stellt eine verbreitete Annahme in der Verhaltensforschung infrage: dass mutige, explorative Tiere bessere Problemlöser seien. Tatsächlich zeigte sich: Schüchtern bedeutet nicht langsam – sondern gründlich. Diese Mäuse gaben nicht auf, sondern versuchten es immer wieder. „Innovation hängt offenbar weniger davon ab, wer mutig ist, sondern vielmehr davon, wer oft genug auftaucht, um Erfolg zu haben“, erklärt Erstautor Alexandros Vezyrakis. „Es ist die Beharrlichkeit – nicht allein die Persönlichkeit –, die beim Problemlösen entscheidend ist.“

Der Kontext macht den Unterschied

Ein weiterer wichtiger Befund: Die Testumgebung hatte großen Einfluss auf das Verhalten. In den ruhigen Labors gelang es 60 Prozent der Mäuse, mindestens eine Aufgabe zu lösen. In den sozial dynamischen, naturnahen Gehegen waren es nur rund 21 Prozent – und oft verhielten sich die gleichen Tiere in beiden Umgebungen ganz unterschiedlich. „Echte Lebensbedingungen sind chaotisch“, sagt Forschungsgruppenleiterin und Mitautorin Anja Guenther. „Wenn wir Verhalten nur unter stark vereinfachten Laborbedingungen untersuchen, laufen wir Gefahr, das tatsächliche Reaktionsvermögen von Tieren in der Natur falsch zu interpretieren.“

Fähigkeit vs. Gelegenheit

Die Studie zeigt außerdem: Erfolg im Labor sagt wenig über Erfolg in freier Wildbahn aus. Entscheidend sind zwei Aspekte von Innovation – Fähigkeit (kann ein Tier ein Problem lösen?) und Neigung (versucht es das überhaupt?). Labortests geben also eher Aufschluss darüber, was Tiere leisten könnten – aber nicht unbedingt, was sie in freier Natur tatsächlich tun. Um Innovation wirklich verstehen zu können, müssen Forschende neben den kognitiven Fähigkeiten auch ökologische und soziale Einflüsse berücksichtigen.

Warum das wichtig ist

Diese Studie bringt eine neue Perspektive in die Erforschung tierischer Kognition: Innovation ist keine feste Fähigkeit, sondern ein Zusammenspiel von Persönlichkeit, Motivation, Umwelt und Beharrlichkeit. Für Forschung und Naturschutz bedeutet das: Experimente müssen die reale Komplexität tierischer Lebenswelten besser abbilden. Und für uns alle? Vielleicht eine charmante Lehre von der Hausmaus: Nicht immer setzt sich der Lauteste oder Mutigste durch – manchmal ist es der, der immer wieder zurückkommt.

Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie


Originalpublikation:

Vezyrakis A, Guenther A, Mazza V: Effects of behavioural types on the problem-solving performance of wild house mice under controlled and semi-natural conditions (2025) Nordic Society OIKOS, https://doi.org/10.1111/oik.10787