88 Prozent der geschädigten Bäume in Thüringer Wäldern sind Fichten
Wenn man in den Thüringer Wald oder den Harz fährt, wird man zwangsläufig mit Bildern konfrontiert, an die man sich nur schwer gewöhnen kann: Überall stehen tote Fichten (Picea abies) wie Skelette in der Landschaft. Viele sind bereits umgestürzt oder wurden gefällt. Die toten Bäume wirken wie Mahnmale für die Auswirkungen der Klimaerwärmung. Die Fichte, die über viele Jahrzehnte hinweg der „Brotbaum“ der Holzwirtschaft war, ist durch jahrelange Trockenheit und hohe Temperaturen geschwächt. In Zusammenspiel mit dem Anbau in Monokultur ist sie dadurch zum Opfer eines kleinen Insekts geworden: dem Großen Achtzähnigen Fichtenborkenkäfer Ips typographus, der aufgrund seines Schadbildes auch Buchdrucker genannt wird. Der etwa 4–5 mm lange Käfer verrichtet sein Zerstörungswerk jedoch nicht allein, sondern gemeinsam mit assoziierten Pilzen, die die Bäume ebenfalls befallen. Zahlen belegen die enormen Schäden, die Borkenkäfer verursachen. Im Waldzustandsbericht 2024 des Freistaats Thüringen wird der Borkenkäfer als größter Schadfaktor bezeichnet. Von 28 Millionen Festmetern Fichtenschadholz ist die Rede. Dies entspricht einem Anteil von 88 Prozent der Fichte am gesamten Schadholz in thüringischen Wäldern.
Sind einzelne Abwehrstoffe schädlingsspezifisch oder erhöht die Vielfalt der Abwehr ihre Wirksamkeit?
Die Abteilung Biochemie am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie untersucht, wie sich Fichten gegen Borkenkäfer und Pilze verteidigen, und wie die Insekten und ihre pilzlichen Verbündeten die Verteidigung der Bäume überwinden. In einer aktuellen Studie gingen die Forschenden insbesondere der Frage nach, warum die Fichten in ihrem klebrigen Harz eine so komplexe Mischung verschiedener Abwehrsubstanzen produzieren. Zur Beantwortung dieser Frage existierten bereits mehrere Hypothesen. „Eine Hypothese besagt, dass sich pflanzliche Abwehrstoffe, die Insekten am wirksamsten bekämpfen oder von der Aufnahme pflanzlicher Nahrung abhalten, von solchen unterscheiden, die das Wachstum von Mikroorganismen hemmen. Eine andere Hypothese nimmt an, dass eine Kombination von Abwehrstoffen wirksamer ist als einzelne Substanzen. Allerdings gibt es bislang kaum Belege für diese beiden Hypothesen. Deshalb haben wir zwölf natürliche Abwehrstoffe, in diesem Fall Monoterpene als Hauptbestandteile im Fichtenharz, gegen ihre gefährlichsten Schädlinge getestet: den Borkenkäfer und die Pilze, die der Käfer mit sich trägt und die den Käferbefall fördern. Wir wollten herausfinden, ob Insekten und Pilze unterschiedlich auf die einzelnen Substanzen reagieren und ob Mischungen dieser Abwehrstoffe besser vor Borkenkäfern und Pilzen schützen als einzelne Substanzen“, erläutert Dineshkumar Kandasamy, einer der Hauptautoren, der mittlerweile an der Universität Lund in Schweden forscht.
Sowohl Schädlingsspezifität als auch Synergieeffekte bei der Fichtenabwehr
In Experimenten, in denen die Wirkung unterschiedlicher einzelner Monoterpene sowie Mischungen derselben auf Borkenkäfer und drei verschiedene Pilze getestet wurde, konnte das Forschungsteam zeigen, dass die für Borkenkäfer giftigen Monoterpene in der Regel nicht die sind, die auch das Pilzwachstum hemmen – und umgekehrt. Mit anderen Worten: Monoterpene, die Borkenkäfer abwehrten, wirkten nicht gegen Pilze, während pilzhemmende Monoterpene auf Borkenkäfer keinen negativen Effekt hatten. Verblüffend für die Forschenden war auch, dass die am weitesten verbreiteten Monoterpene in Fichten nur mäßig wirksam gegen Käfer und zwei der drei Pilze waren, während die bioaktivsten Monoterpene nur in sehr geringen Mengen in Fichten nachweisbar waren. „Gleichzeitig konnten wir feststellen, dass Mischungen aus Monoterpenen wirksamer gegen Borkenkäfer und zwei der drei von uns getesteten Pilze waren als die einzelnen Monoterpene. Dies zeigt einen Synergieeffekt, bei dem mehrere chemische Verbindungen zusammen besser wirken als einzeln“, sagt Dineshkumar Kandasamy. „Dies ist die erste Studie, die zeigt, dass sowohl Synergieeffekte als auch die Tatsache, dass verschiedene Abwehrstoffe gegen unterschiedliche Feinde wirksam sind, erklären können, warum Bäume Mischungen aus Verteidigungssubstanzen einsetzen.“
Mischung chemischer Substanzen als Königsweg der pflanzlichen Abwehr
Die neue Studie trägt zur Beantwortung einer der zentralen Fragen der Pflanzenökologie bei: Warum produzieren Pflanzen Mischungen verschiedener chemischer Abwehrstoffe? Da Pflanzen häufig von vielen Schädlingen und Krankheitserregern gleichzeitig angegriffen werden, könnte die Produktion einer solchen Mischung der Königsweg sein, um sich gegen alle natürlichen Feinde zu verteidigen. „Unsere Ergebnisse liefern eine der bislang schlüssigsten Erklärungen dafür, warum chemische Mischungen in der Natur so häufig vorkommen,“ fasst Jonathan Gershenzon, Leiter der Abteilung Biochemie, zusammen.
Pflanzenschutz in Zeiten des Klimawandels
Die neuen Erkenntnisse könnten bei der Entwicklung natürlicher Pestizide helfen. So könnten Monoterpene, deren Giftwirkung auf den Borkenkäfer besonders groß ist, auf die Baumrinde aufgetragen werden, wo die Borkenkäfer landen und anschließend anfangen, sich in die Rinde zu bohren. Auch die Erkenntnis, dass Mischungen wirksamer sind als Einzelverbindungen, ist wichtig für die Entwicklung neuer Pflanzenschutzmittel. Da Pflanzen aufgrund des Klimawandels einem stärkeren Stress ausgesetzt sind, könnte dies wiederum die Wirksamkeit ihrer Abwehrstoffe gegen Käfer und Pilze verändern. „Wenn wir die Funktionsweise der pflanzlichen Abwehrkräfte verstehen, können wir besser vorhersagen, wie die Pflanzen mit künftigen Klimaszenarien zurechtkommen, und Strategien zum Schutz der Ökosysteme entwickeln“, sagt Dineshkumar Kandasamy. Weitere Untersuchungen sind geplant. Das Team möchte herauszufinden, warum Mischungen von Monoterpenen wirksamer sind als Einzelverbindungen. Außerdem sollen die Ziele der Pflanzengifte im Körper der Schädlinge identifiziert werden.
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Originalpublikation:
Zaman, R., Jain, A., Hammerbacher, A., Gershenzon, J., Kandasamy, D. (2025). Both synergism and interaction diversity explain the mixtures of defensive monoterpenes in spruce oleoresin. Functional Ecology, DOI: 10.1111/1365-2435.70077 https://besjournals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/1365-2435.70077