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Wie schmeckt das Essen? Frag dein Gehirn!

Nahrungsaufnahme
Essen macht Spaß – aber wann ist es genug? Eine Studie zeigt nun, dass das Hormon Ghrelin und spezialisierte Neuronen die Nahrungsaufnahme und das damit verbundene Belohnungsgefühl regulieren. MPI für biologische Intelligenz / Julia Kuhl

Zu wissen, wann es Zeit für eine Mahlzeit ist – und wann man wieder aufhören sollte zu essen – ist wichtig für die Gesundheit und das Überleben von Menschen und Tieren. Forschende am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz fanden nun heraus, dass das "Hunger-Hormon" Ghrelin spezialisierte Nervenzellen in der Amygdala von Mäusen aktiviert. In dieser Gehirnregion, die auch für die Regulierung von Emotionen zuständig ist, fördert das Zusammenspiel zwischen Ghrelin und den Nervenzellen die Nahrungsaufnahme und vermittelt sowohl Hunger als auch die mit dem Essen verbundenen Belohnungsgefühle.

Hunger ist ein starkes Gefühl mit einer wichtigen biologischen Funktion. Es signalisiert dem Körper, dass er nach Nahrung suchen sollte, um das eigene Überleben zu sichern. Wenn wir hungrig sind, sehnen wir uns nach Nahrung und wenn wir essen, belohnt uns unser Körper mit angenehmen Gefühlen und einem allgemeinen Glückszustand.

Netzwerke aus biologischen Schaltkreisen und Signalwegen im Gehirn steuern das Essverhalten von Menschen und Tieren und lösen die damit verbundenen Empfindungen aus. Einer der zentralen Akteure in diesem Netzwerk ist das Hormon Ghrelin. Es wird von Magenzellen freigesetzt, wenn Menschen und Tiere hungrig sind oder fasten, und fördert das Fressverhalten.

Die Abteilung von Rüdiger Klein am Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz untersucht die Gehirnnetzwerke, die dem Fressverhalten von Mäusen zugrunde liegen. Zu diesem Zweck haben die Forscherinnen und Forscher eine gründliche Analyse der Zelltypen in einer Gehirnregion durchgeführt, die als zentrale Amygdala bekannt ist. “Bisher wurde die Amygdala vor allem im Zusammenhang mit Gefühlen wie Angst und Belohnungsempfinden untersucht. Es wurde angenommen, dass die Regulation des Fressverhaltens in anderen Gehirnbereichen stattfindet, etwa im Hypothalamus”, sagt Christian Peters, Postdoktorand in der Abteilung.

Peters und seine Kolleg*innen analysierten einzelne Nervenzellen in der zentralen Amygdala und untersuchten ihre Boten-RNA-Moleküle, also die Arbeitskopien der Gene, die auch als mRNAs bekannt sind. Die Analyse ergab, dass die Zellen in neun verschiedenen Zellclustern organisiert sind. Einige dieser Cluster fördern den Appetit, während andere ihn hemmen. Zudem passen die Zellen ihre Produktion von mRNAs an, wenn die Mäuse gefüttert werden oder fasten.

“Wir haben jetzt ein besseres Verständnis über die vielfältigen Zelltypen und die physiologischen Prozesse, die in der zentralen Amygdala die Nahrungsaufnahme fördern”, sagt Rüdiger Klein. “Unsere Forschung zeigt zum ersten Mal, dass das Hunger-Hormon Ghrelin auch auf Zellen in der zentralen Amygdala wirkt.” Dort aktiviert es eine kleine Untergruppe von Zellclustern, die gemeinsam durch die Anwesenheit des Proteins Htr2a gekennzeichnet sind, um die Nahrungsaufnahme zu steigern.

Das Team fand heraus, dass die Htr2a-Neurone nach mehrstündigem Fasten oder bei Anregung durch das Hormon Ghrelin aktiv wurden. Die Zellen reagierten auch, wenn die Forschenden den Mäusen Nahrung vorsetzten. “Wir denken, dass Ghrelin mehrere Funktionen erfüllt”, erklärt Christian Peters. “Wenn Mäuse hungrig sind, aktiviert Ghrelin die appetitanregenden Hirnregionen, um die Tiere zum Fressen zu animieren. Außerdem steigert das Hormon die Aktivität in Gehirnarealen wie der Amygdala, die Belohnungsgefühle vermitteln. Das ist wahrscheinlich ein Anreiz, noch mehr zu fressen.” Auf diese Weise erhöht Ghrelin die Schmackhaftigkeit der Nahrung in Abhängigkeit davon, wie gesättigt die Mäuse gerade sind.

Wenn die Tiere nach einer Fastendiät hungrig waren, war die Aktivität der Htr2a-Neuronen allerdings nicht erforderlich, damit die Mäuse mit dem Fressen begannen – die Forschenden vermuten, dass der Geschmack der Nahrung unter diesen Bedingungen eher nebensächlich ist. “In diesem Fall übernehmen andere Schaltkreise im Gehirn die Kontrolle, um den Stoffwechsel des Körpers zu regulieren. Unter anderem der Hypothalamus signalisiert den Mäusen dann, dass es wichtig ist zu fressen, um zu überleben”, sagt Christian Peters.

Hunger und Sättigungsgefühle haben große Auswirkungen auf das körperliche, aber auch auf das emotionale Wohlbefinden. Das hat wohl jede*r von uns beim Verzehr leckerer Speisen und den damit verbundenen Glücksgefühlen schon einmal erlebt. “Die neuronalen Netzwerke, die diese Gefühle vermitteln, sind offensichtlich eng mit denen verbunden, die die Nahrungsaufnahme kontrollieren. Wie genau sie sich gegenseitig beeinflussen, ist noch nicht vollständig geklärt”, sagt Rüdiger Klein. “Wenn wir diese Zusammenhänge entschlüsseln, werden wir auch die neuronalen Prozesse besser verstehen, die an pathologischem Essverhalten beteiligt sind”, fügt Christian Peters hinzu. “Zahlreiche biologische Faktoren tragen zu einem solch komplexen Verhalten bei und wir müssen uns die physiologischen Prozesse ansehen, um diese Faktoren zu verstehen."

In der Zukunft könnte dieses Wissen zu neuen therapeutischen Ansätzen zur Linderung von Essstörungen führen. Vorerst legt die Studie den Grundstein für weitere Untersuchungen der speziellen Nervenzellverbände und neuronalen Schaltkreise, die die Nahrungsaufnahme steuern. Die Forschung fügt zudem ein weiteres wichtiges Puzzleteil zu unserem Verständnis hinzu, wie das Gehirn das Verhalten steuert.

Max-Planck-Institut für biologische Intelligenz


Originalpublikation:

Christian Peters, Songwei He, Federica Fermani, Hansol Lim, Wenyu Ding, Christian Mayer, Rüdiger Klein: Transcriptomics reveals amygdala neuron regulation by fasting and ghrelin thereby promoting feeding, Sciene Advances, DOI: 10.1126/sciadv.adf6521