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Protein-Ansammlungen entscheiden über das Schicksal einer Zelle

Hefezellen
Wie entscheiden diese Hefezellen, welche Richtung ihr weiteres Leben nehmen soll? (Bild: Love employee/Adobe Stock)

Alle Zellen – von der Säugetierzelle bis zur Mikrobe – können verschiedene Wege einschlagen: Wachstum, Teilung, Spezialisierung oder Alterung und Tod. Die Entscheidung, in welche Richtung es geht, hängt von Molekülansammlungen innerhalb der Zellen ab. Neue Erkenntnisse von Forschenden der ETH Zürich könnten helfen, Zellentscheidungen bei Krankheiten wie Krebs gezielt zu beeinflussen. 

Eine Zelle kann erstaunlich komplex handeln und muss dazu die entsprechenden Entscheidungen treffen: Die Zelle kann wachsen und sich vermehren, eine Zeit lang ruhen, sich spezialisieren oder altern und sterben. Dies gilt nicht nur für die Zellen von Säugetieren, sondern auch für scheinbar einfach gestrickte Mikroben. 

Die Zellen treffen ihre Entscheidungen nicht nur aufgrund von Signalen von aussen, sondern auch nach Hinweisen aus ihrem Innern – etwa wie alt sie sind oder wie viel Energie ihnen zur Verfügung steht. Damit den Zellen alle internen Informationen vorliegen, kommen Moleküle aus der gesamten Zelle an einem Ort zusammen und bilden Ansammlungen, die ganz unterschiedliche Konsistenzen haben können. Sie können flüssig, gelartig oder fest sein. Kondensate nennen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diese zellinternen Versammlungsorte der Informationsmoleküle. 

Klümpchenbildung für Entscheidungsfindung 

Wie sich diese Kondensate genau bilden und wie der zelluläre Informationsaustausch genau funktioniert, war bislang unklar. Forschende der ETH Zürich um den Biologieprofessor Yves Barral haben nun genau das bei Hefezellen herausgefunden. Ihre Studie ist soeben in der Fachzeitschrift Molecular Cell erschienen. 

Um zu verstehen, wie diese Molekülansammlungen die Entscheidungen der Hefezellen beeinflussen, konzentrierten sich die Forschenden auf die Zellalterung. «Das Altern von Zellen kann unabhängig von ihrer Umgebung stattfinden, daher eignet es sich gut für diese Untersuchung», erklärt Tom Peskett, Postdoc in Barrals Gruppe und Erstautor der Studie. 

Zwei Kondensate müssen wechselwirken 

Mit Methoden der Mikrofluidik, bei der kleinste Mengen Flüssigkeit untersucht werden, fingen er und seine Kolleg:innen einzelne Hefezellen ein. Mit einem Lichtmikroskop beobachteten sie dann, wie sich die Zellen teilten und mit jeder Teilung älter wurden, bis sie nach drei bis vier Tagen starben. Dabei bemerkten die Forschenden, dass sich mit zunehmendem Alter bestimmte Proteinkondensate – sogenannte P-Bodies und Whi3-Kondensate – im Inneren der Zellen bildeten. 

Um bei den Zellen den Alterungsprozess zu starten, wirken die beiden Kondensate zusammen, wie die Forschenden zeigen konnten. Die Kondensate binden RNA-Moleküle und unterdrücken die Produktion von Proteinen, die am Zellteilungszyklus beteiligt sind. «Wenn wir aber die Bildung eines der beiden Kondensate verhindern, altern die Zellen nicht mehr. Dadurch leben sie länger und durchlaufen mehr Teilungen», erklärt Peskett. 

Um die Bedeutung der Wechselwirkung der Kondensate zu untersuchen, lösten die ETH-Biolog:innen die Bildung von Whi3-Kondensaten künstlich aus. Dies führte dazu, dass die Zellen früher als üblich zu altern begannen. «Das zeigt deutlich: Die Proteinaggregate beeinflussen die Entscheidung der Zelle, in Rente zu gehen und sich ihrem Ende zu nähern», sagt ETH-Professor Yves Barral. Dieser Trick funktionierte jedoch nur in Zellen, die beide Kondensate, also Whi3-Kondensate und P-Bodies, enthielten. «Die Wechselwirkung zwischen den beiden Kondensaten ist also entscheidend», folgert Barral. 

Aktiver Entscheid gegen Paarung 

Die Kondensate führten auch zur Entscheidung, Paarungsversuche abzubrechen. Junge Hefezellen paaren sich, indem sie einander mit bestimmten Lockstoffen (Pheromonen) Signale senden. Sobald sie einander wahrnehmen, beschliessen sie, sich nicht mehr zu teilen und Paarungsfortsätze auszubilden, um mit einer anderen Hefezelle zu verschmelzen. Bisher nahm die Forschung an, dass alte Hefezellen steril sind und nicht auf Pheromone möglicher Paarungspartner reagieren. 

Die Forschenden der ETH haben jedoch festgestellt, dass alte Zellen sehr wohl auf Pheromone reagieren. Sie entscheiden sich jedoch sehr schnell, ihre Paarungsversuche abzubrechen. «Diese Entscheidung ist auf die Kondensate zurückzuführen. Verhindern wir deren Bildung, reagieren auch die alten Zellen wie die jungen auf Pheromone», betont Barral. 

Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass dieses Netzwerk von Kondensaten zwei sehr unterschiedliche Entscheidungen steuert: den Zellzyklus zu beenden und die Paarung im hohen Alter zu vermeiden. «Kondensate sind wie eine Art zelluläres ‹Gehirn›, das es der Zelle ermöglicht, ihr Alter oder die Anwesenheit potenzieller Paarungspartner zu bewerten, um ihr Verhalten entsprechend anzupassen», erklärt Barral. 

Die Ergebnisse zeigen ausserdem, dass Kondensate und ihre Wechselwirkungen erklären, wie Moleküle aus der gesamten Zelle zusammenkommen, um wichtige Informationen auszutauschen. «Es ist, als würden sie sich zu molekularen Komitees organisieren, die die Entscheidungen der Zelle steuern», ergänzt Peskett. 

Viele Zellen treffen Entscheidungen, die für uns als Individuen nachteilig sind: Krebszellen beschliessen, sich schnell zu vermehren. Bakterien entscheiden sich, in einen Ruhezustand zu gehen, wenn sie mit Antibiotika in Kontakt kommen. Und sie wachen wieder auf, um den Menschen erneut zu infizieren. Unsere Stammzellen stellen mit zunehmendem Alter die Produktion neuer Zellen ein, sodass Verletzungen nicht mehr so schnell heilen. 

«Die Erkenntnisse bieten einen neuen Ansatz, um diese Art von Entscheidungen zu ändern. Es ist jedoch weitere Forschung nötig, um beispielsweise Medikamente zu entwickeln, die speziell auf Kondensate abzielen, damit dieses Wissen dereinst klinisch anwendbar werden soll», betont Barral.

ETH Zürich


Originalpublikation:

Peskett TR, Farcas AM, Lee SS, Barral Y: A network of P-body and Whi3 condensates adjusts cell fate decisions to cellular context, Molecular Cell 2025 Oct 2;85(19):3661-3676.e8. DOI: 10.1016/j.molcel.2025.09.001 

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