Bei dem Wort „Dinosaurier“ denken die meisten Menschen vermutlich sofort an Tiere mit riesigen Körpern, langen Schwänzen und Hälsen und einem winzigen Kopf. Diese Langhalssaurier (wissenschaftlicher Name: Sauropoda) sind somit für die meisten von uns der „Urtyp“ eines Dinosauriers, obwohl sie nur eine von vielen Gruppen der Dinosaurier sind. Zu den Langhalssauriern gehören mit bis zu 40 m langen Skeletten die größten Landwirbeltiere aller Zeiten.
Solche Giganten wie Brontosaurus, Diplodocus oder auch Brachiosaurus sind uns aus Büchern, Filmen oder auch von einem Museumsbesuch vertraut, stellen aber bereits hoch entwickelte Vertreter der Sauropoden dar. Die Frage, wie sich aus den eher kleinen Ur-Dinosauriern solche Riesen entwickeln konnten und wann und wie die Evolution dieser Gruppe ablief, ist immer noch Thema intensiver Forschung. Hierbei sind natürlich Funde von frühen Vertretern der Sauropoden von besonderer Bedeutung.
Die frühesten Vertreter der Großgruppe der Sauropodomorpha, zu denen die Sauropoden gehören, tauchen in der Zeit der oberen Trias (vor ca. 225 Millionen Jahren) im Fossilbericht auf und verbreiteten sich offenbar rasch. Zu dieser Gruppe gehört unter anderem die Gattung Plateosaurus, die aus zahlreichen Fundstellen Mitteleuropas bekannt ist und in Deutschland auch unter dem Namen „schwäbischer oder fränkischer Lindwurm“ bekannt ist. Die ersten echten Sauropoden kennt man erst aus der Zeit des späten unteren Jura (vor ca. 190 Millionen Jahren), bis dahin waren offenbar Tiere wie Plateosaurus die typischen großen Pflanzenfresser unter den Dinosauriern.
Die Gattung Plateosaurus ist auch aus der oberen Trias der Schweiz bekannt. Bei der Untersuchung einiger unvollständiger Reste aus dem Kanton Schaffhausen in der Sammlung der Universität Zürich, die ursprünglich als Plateosaurus identifiziert worden waren, erlebte der Münchener Paläontologe Oliver Rauhut von der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie und der Ludwig-Maximilians-Universität jedoch eine Überraschung: Diese Reste stammten nicht von Plateosaurus, sondern repräsentieren eine bisher unbekannte Art der Sauropodomorphen, die den Sauropoden evolutiv bereits sehr nahe steht. Diese Art wurde nun von Rauhut und seiner Kollegin Femke Holwerda vom Royal Tyrrell Museum in Drumheller (Kanada) sowie Heinz Furrer von der Universität Zürich in der wissenschaftlichen Zeitschrift „Swiss Journal of Geosciences“ unter dem Namen Schleitheimia schutzi beschrieben. Der Name leitet sich dabei von der kleinen Ortschaft Schleitheim, in deren Nähe die Reste bereits 1954 gefunden wurden, sowie dem Namen des Finders, dem Privatsammler Emil Schutz (1916–1974) aus Neunkirch bei Schaffhausen, ab.
Obwohl Schleitheimia dem bekannten Plateosaurus vermutlich noch recht ähnlich sah, ist dieses Tier mit geschätzten 9–10 m Körperlänge bereits deutlich größer als letzterer, auch wenn es bei weitem noch nicht die Maße seiner späteren Verwandten erreichte. Auch war die neue Art offenbar sehr robust gebaut und bewegte sich, wie seine gigantischen Nachfahren, vermutlich auf allen Vieren fort, während Plateosaurus meist auf den Hinterbeinen ging. Die Analyse der Verwandtschaftsverhältnisse der neuen Gattung, die die Forscher durchführten, zeigt, dass Schleitheimia offenbar der nächste bekannte Verwandte der echten Sauropoden ist, was darauf hinweist, dass auch jene Gruppe ihren Ursprung bereits in der oberen Trias gehabt haben muss.
Eine neue Ausgrabung in der direkten Nähe der ursprünglichen Fundstelle, die 2016 unter der Leitung von Heinz Furrer stattfand, brachte weitere Reste von Sauropodomorphen zu Tage, die unter anderem zeigten, dass auch Plateosaurus hier vorkam. Zudem deuten weitere alte Funde von Emil Schutz aus einer benachbarten Fundstelle auch noch das Vorhandensein einer dritten, bisher noch nicht bestimmbaren Art früher Sauropodomorphen an. Aus den fossilen Knochen, den ermittelten Verwandtschaftsverhältnissen und dem bisher bekannten Fossilbericht der Sauropodomorphen schlossen Rauhut und seine Kollegen, dass die frühen Sauropoden offenbar über mehr als 20 Millionen Jahre neben ihren primitiveren Verwandten gelebt haben. Erst nach deren Aussterben gegen Ende des unteren Jura begann ihre Erfolgsgeschichte, die sie zu den größten und in vielen Ökosystemen wichtigsten Pflanzenfressern des Erdmittelalters machen sollte. „Wie man sieht, muss man nicht immer in exotische fremde Länder reisen, um neue Dinosaurier zu entdecken und neue Erkenntnisse zu ihrer Evolution zu gewinnen - manchmal reicht auch ein Besuch im benachbarten Museum oder eine Grabung vor der Haustür“, freut sich der Münchener Forscher mit einem Augenzwinkern.
Bayerische Staatssammlung für Paläontologie und Geologie (SNSB-BSPG)
Originalpublikation:
Rauhut OWM, Holwerda F, Furrer H (2020) A derived sauropodiform dinosaur and other saurop-odomorph material from the LateTriassic of Canton Schaffhausen, Switzerland. Swiss Journal of Geoscience 113, 8