Solche Einzelaugen gibt es bei allen Gliedertieren (Arthropoden) und auch bei vielen Verwandten der ausgestorbenen Trilobiten. Es sind meist kleine Becheraugen (Ocelli), manchmal sogar mit Linsen ausgerüstet, die den menschlichen Augen nicht unähnlich sind. Diese sogenannten Medianaugen sind typisch für alle Gliedertiere, nur bei Trilobiten waren sie trotz mittlerweile 150-jähriger Forschung noch nicht entdeckt worden. Die Wissenschaftler*innen gehen davon aus, dass die neu entdeckten Augen bei Trilobiten nur im Larvenstadium vorkamen. Die Einzelaugen lagen unter einer transparenten Schicht des Panzers, die während des Fossilisierungsprozesses undurchsichtig wurde. Beide Umstände trugen dazu bei, dass die Ocelli bis jetzt nicht entdeckt wurden. In der Arbeit wurden auch Medianaugen anderer, etwa 500 Millionen Jahre alte Gliedertiere nachgewiesen. Auch diese Medianaugen waren bislang nicht bekannt. Je nach evolutionärem Stand haben diese Arthropoden eine unterschiedliche Zahl von Medianaugen. Anzahl und Form der Einzelaugen werden in Zukunft helfen, einzelne Arthropoden-Spezies im Stammbaum einordnen zu können. Ihre Entdeckung beschreiben die Forscher*innen in dem Artikel „The median eyes of trilobites“ in Scientific Reports - Nature.
Gliederfüßer (Arthropoden) besitzen in der Regel zwei Arten von Augen: die Facettenaugen und die so genannten „Medianaugen“ oder Mittelaugen. Letztere werden so genannt, weil sie auf der Mitte der Stirn zwischen den Facettenaugen sitzen. Nur Trilobiten, eine wichtige Gruppe von Arthropoden im Paläozoikum, schienen keine Mittelaugen zu besitzen.
Das war die Annahme, bis Schoenemann und Clarkson ein Exemplar des Trilobiten Aulacopleura koninckii untersuchten, bei dem ein Teil des Kopfes abgeschabt war. An der Vorderseite des Kopfes fanden sich drei fast identisch geformte dunkle, unauffällige und winzige ovale Flecken von gleicher Größe. Diese drei Strukturen sind parallel aneinandergereiht und fächern sich auf der Unterseite leicht auf. Alle drei Flecken zeichnen sich durch einen glatten, klaren Umriss und eine gleichmäßige, dunkelbräunliche Farbe aus. „Dieses klare, regelmäßige Erscheinungsbild unterscheidet diese Struktur von zufälligen, durch Verwesung oder Fossilisierung entstandenen Gebilden, und entspricht den zu erwartenden Relikten einfacher, mit einer Pigmentschicht ausgerüsteten Medianaugen. Auch wenn es sich um einen Einzelfund handelt, stützt er die Annahme, dass Medianaugen ursprünglich bei Trilobiten vorhanden waren“, erklärt Schoenemann.
Auch bei dem im freien Ozean schwimmenden Trilobiten Cyclopyge sibilla fanden die Forscher*innen auf der sogenannten Glabella, der Region inmitten der Stirn zwischen den großen Facettendaugen, drei becherförmige Medianaugen, die sogar offensichtlich eine Linse besaßen, und somit deutlich differenzierter und wohl wesentlich leistungsfähiger waren als die des bodenbewohnenden Trilobiten Aulacopleura.
In ihrem Artikel überlegen die Forscher*innen, warum die Medianaugen der Trilobiten dem forschenden Auge bis jetzt entgangen sind: „Diese Medianaugen sind bei Trilobiten im Larvenstadium vorhanden, liegen aber unter einem wahrscheinlich dünnen, durchsichtigen Panzer (Kutikula). Beides erklärt, warum sie bisher unentdeckt geblieben sind“, erklärt Schoenemann. Damit schließen die Forscher*innen die bisherige Lücke der fehlenden Mittelaugen bei Trilobiten. Schoenemann: „Es konnte gezeigt werden, dass diese Becheraugen von denen der urtümlichen Stummelfüßler abstammen, kleinen wurmähnlichen Tieren mit Beinen. Die ursprüngliche Anzahl der Medianaugen ist 2, wie noch bei den heutigen, sehr konservativen Spinnentieren. Bei stammliniennahen, sehr ursprünglichen Gliedertieren (z.B. Cindarella eucalla aus dem unteren Kambrium Chinas) sind es 4, moderne Tiere, wie Insekten und Krebstiere, besitzen nur noch 3. Mit Hilfe der Anzahl der Medianaugen in einem Gliederfüßer haben wir nun ein wichtiges Instrument, um seine Position im evolutionären Stammbaum zu bestimmen.“
Universität Köln
Originalpublikation:
Schoenemann, B., Clarkson, E.N.K. The median eyes of trilobites. Sci Rep13, 3917 (2023). doi.org/10.1038/s41598-023-31089-7