Das Anthropozän ist heute zum geflügelten Wort geworden. Es war Paul Crutzen, Nobelpreisträger und ehemals Direktor am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz, der den Begriff im Jahr 2000 auf einer internationalen Wissenschaftskonferenz in die Debatte einbrachte und in der Folgezeit maßgeblich prägte. Das Anthropozän ist das Zeitalter, in dem der massive Einfluss des Menschen überall auf dem Planeten Erde nachweisbar ist: in der Luft, im Wasser, an Land, vom Weltall aus und in Ablagerungen im Boden. Letztere führen zur Geologie, in deren wissenschaftlichen Kompetenzbereich die Bestimmung und offizielle Benennung der Erdzeitalter fällt.
2009 setzte die Internationalen Kommission für Stratigraphie – so der Name der zuständigen Fachrichtung – die Anthropocene Working Group (AWG) ein, um die Existenz des Anthropozän wissenschaftlich zu untersuchen. Bereits 2019 einigte sich die AWG darauf, das neue Zeitalter als geologische Realität anzuerkennen. Um allerdings offiziell zur neuen Epoche zu werden, sind globale Nachweise nötig, die strengen wissenschaftlichen Kriterien genügen müssen. Konkret müssen drei Anforderungen erfüllt sein: Es braucht einen Ort, der als Referenzpunkt dient, eine zumindest grobe zeitliche Festlegung, wann das neue Zeitalter begonnen hat, und einen Marker, der ein typisches Merkmal der Epoche darstellt und gut zu belegen ist. Auf diesem Weg hat die AWG nun einen wichtigen Schritt vollzogen: Als geologische Referenz für die neue Epoche schlägt sie den Crawford Lake im Süden der kanadischen Provinz Ontario vor - wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am 11. Juli in einer Pressekonferenz im Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin bekanntgaben. „Der See ist mit 24 Metern sehr tief für seine Größe“, erklärt Francine McCarthy, Professorin für Geowissenschaften an der Brocks University in Ontario. Sein entsprechend ruhiges Tiefenwasser ermöglicht eine ungestörte Sedimentablagerung. Die jährlichen Schichten des Sediments sind besonders gut unterscheidbar und bilden so ein stabiles geologisches Archiv.
Putonium als Marker
Zu jeder Epoche soll es idealerweise auf der Welt einen geologischen Referenzpunkt geben, einen Global Stratotype Section and Point (GSSP). An diesen mit „Golden Spikes“, goldfarbenen Metallplaketten, markierten Orten sind stratigraphische Schichtungen als geologische Archive besonders detailliert ablesbar; sie dienen als Stellvertreter für die ihnen zugeordnete Epoche des Erdzeitalters. Entsprechend streng sind die Auswahlkriterien. Beim Anthropozän betritt die Geologie nun Neuland, denn es geht um sehr junge stratigraphische Schichten. Die Frage war also, welche Spuren menschlicher Aktivität im Boden den Beginn des Anthropozäns definieren sollen. Paul Crutzen hatte zusammen mit dem US-amerikanischen Biologen Eugene Stoermer im Jahr 2000 vorgeschlagen, als Marker die Spuren der industriellen Revolution mit den zunehmenden Emissionen von Dampfmaschinen zu nehmen. Tatsächlich ließen sich solche Spuren zwar im Boden nachweisen, erklärt Colin Waters von der britischen University of Leicester und Vorsitzender der AWG, doch nur lokal vor allem in Europa: „In Australien würde man nichts finden.“ Damit wäre das Kriterium einer globalen Nachweisbarkeit verfehlt.
Schlussendlich einigten sich die Forschenden auf Plutonium-Isotope aus oberirdischen Atomwaffentests, die ab 1945 stattfanden, als zuverlässigsten Marker. Da ihr Fallout in der Atmosphäre rund um die Erde verfrachtet wurde, ist das Plutonium überall nachweisbar. Das gilt für alle zwölf Orte auf fünf Kontinenten, die die AWG als Kandidaten untersucht hat. Im Crawford Lake ist das Plutonium ab Ende der 1940er-Jahre zu finden, mit einem schnellen Anstieg ab 1950. Um diesen Zeitpunkt herum soll nun also der Beginn des Anthropozäns festgelegt werden, so die Empfehlung der AWG. Der Vorschlag, Crawford Lake mit dem „Golden Spike“ für das Anthropozän zu versehen, muss nun aber weitere Abstimmungen innerhalb der stratigrafischen Fachcommunity durchlaufen. Wenn er entsprechende Mehrheiten findet, könnte die International Union of Geological Sciences den neuen GSSP im August 2024 ratifizieren.
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Originalpublikation:
McCarthy, F. M.et al.: The varved succession of Crawford Lake, Milton, Ontario, Canada as a candidate Global boundary Stratotype Section and Point for the Anthropocene series.
The Anthropocene Review, 10(1), 146–176, 2023, https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/20530196221149281