Die Forschenden haben die Daten von 253 Studien analysiert und festgestellt, dass Konflikte zwischen Männchen und Weibchen überraschend häufig sind: Fast die Hälfte aller aggressiven Begegnungen in sozialen Gruppen finden zwischen den Geschlechtern statt. Bislang ging man davon aus, dass vor allem Kämpfe innerhalb desselben Geschlechts stattfinden, beispielsweise wenn Männchen um Zugang zu Weibchen konkurrieren.
Vielfältige Machtverhältnisse statt klarer Dominanz
Lange ging man davon aus, dass bei Primaten generell die Männchen über die Weibchen dominieren. Ausnahmen wie Kattas (Lemur catta) oder Bonobos (Pan paniscus), in denen die Weibchen das dominante Geschlecht sind, wurden als Kuriositäten betrachtet. Die neue Studie zeigt jedoch, dass dies so nicht stimmt: In rund 70 Prozent der untersuchten Populationen gibt es keine klaren Machtunterschiede zwischen den Geschlechtern. Nur in 17 Prozent der Populationen zeigte sich eine klare Dominanz der Männchen, während in 13 Prozent der Fälle die Weibchen dominierten. „Unsere Forschung zeigt, wie vielfältig und flexibel Dominanzverhältnisse im Tierreich sein können“, sagt Peter Kappeler Leiter der Abteilung Verhaltensökologie und Soziobiologie am Deutschen Primatenzentrum.
Evolutionäre Faktoren beeinflussen das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern
Weibliche Dominanz tritt vor allem bei Arten auf, bei denen die Weibchen monogam leben, eine ähnliche Körpergröße wie die Männchen haben oder hauptsächlich in Bäumen nach Nahrung suchen – alles Situationen, in denen die Weibchen die Wahl haben, mit wem sie sich paaren. Männliche Dominanz findet man eher bei Arten, die am Boden leben, bei denen die Männchen größer sind als die Weibchen und sich mit mehreren Weibchen paaren. „Während Männchen ihre Macht häufig über körperliche Überlegenheit durchsetzen, nutzen Weibchen oft alternative Strategien, um die Kontrolle über ihre Paarungen zu erlangen“, sagt Elise Huchard von der Universität Montpellier.
Folgen für das Verständnis von Geschlechterrollen beim Menschen
Die Ergebnisse sind wichtig für das Verständnis sozialer Dynamiken bei Tieren und Menschen. Dass weibliche Dominanz fast ebenso häufig wie männliche vorkommt und viele Primatengesellschaften keine eindeutigen Machtasymmetrien zeigen, stellt traditionelle Annahmen über die natürliche Grundlage von Geschlechterrollen infrage. „Die Vorstellung, menschliche Patriarchate seien eine unvermeidliche Erbschaft aus der Primatenwelt, wird durch unsere Studie nicht gestützt“, so Kappeler. „Stattdessen sollten Geschlechterverhältnisse stets im jeweiligen sozialen und ökologischen Kontext betrachtet werden.“
Deutsches Primatenzentrum GmbH
Originalpublikation:
Huchard E, Kappeler PM, Smit N, Fichtel C, Lukas D (2025) The evolution of male-female dominance relations in primate societies. PNAS, doi:10.1073/pnas.2500405122, https://doi.org/10.1073/pnas.2500405122