Bereits seit langem bestand in der Evolutionsbiologie die Annahme, dass sexuelle Selektion nicht nur erstaunliche phänotypische Unterschiede zwischen den Geschlechtern in vielen Tierarten hervorgerufen hat, sondern auch die demographische Struktur einer Population sowie deren Anpassung an Umweltveränderungen beeinflusst. Lennart Winkler von der TU Dresden konnte nun gemeinsam mit seinen Kolleg:innen aus Schweden und Frankreich diese Annahme durch eine Auswertung von Daten aus 55 Studien über unterschiedliche Tierarten empirisch belegen.
Sexuelle Selektion ist eine Auslese, die durch den Wettbewerb um Paarungspartner und/oder deren Fortpflanzungszellen (ihre Eier oder Spermien) entsteht. Seit fast einem Jahrhundert gehen Forscher davon aus, dass die sexuelle Selektion die ultimative selektive Kraft ist, die Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Tieren, wie zum Beispiel bunte Färbung und Größenunterschiede zwischen den Geschlechtern, bis hin zu Verhaltensunterschieden. Es ist jedoch nur wenig darüber bekannt, wie die sexuelle Selektion in Verbindung mit anderen Umwelteinflüssen die Populationsdemografie und die Anpassungsfähigkeit beeinflusst.
Die DNA aller Lebewesen entwickelt im Laufe der Zeit zufällige Mutationen - einige davon helfen dem Träger beim Überleben, andere wiederum bringen keinen Nutzen und können sogar einen Nachteil verursachen (so genannte schädliche Mutationen).
Evolutionsbiologen gehen davon aus, dass die sexuelle Selektion die evolutionäre Anpassung fördern könnte, wenn sie zu einer stärkeren Gesamtselektion gegen schädliche Mutationen führt. So könnten beispielsweise Männchen, die eine schädliche Mutation tragen, Nachteile bei der Partnersuche haben und so würde diese Mutation nicht in die nächste Generation weitergegeben.
Die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, dass die Gesamtselektion typischerweise stärker auf Männchen als auf Weibchen wirkt. „Das könnte evolutionäre Anpassungen beschleunigen, weil für gewöhnlich die Produktivität einer Population vor allem von der Fertilität der Weibchen und nicht der der Männchen abhängig ist. Daher würde eine stärkere Selektion auf Männchen schädliche Allele aus dem Genpool entfernen, ohne negative demographische Effekte zu haben. Unsere Ergebnisse unterstützen daher die Idee, dass die sexuelle Selektion eine zentrale Rolle bei der ‚evolutionären Rettung‘ spielen könnte, was zum Beispiel entscheidend für die Anpassung bedrohter Tierarten an die aktuelle Klimakrise wäre“, erläutert Erstautor Lennart Winkler von der TU Dresden.
TU Dresden
Originalpublikation:
Lennart Winkler, Maria Moiron, Edward H Morrow, Tim Janicke. Stronger net selection on males across animals. eLife 2021;10:e68316. DOI: 10.7554/eLife.68316