Stellen wir uns vor, wir spielen mit Freunden ein Spiel, bei dem sie uns einen Ball zuwerfen, den wir fangen müssen. Bei den ersten Würfen verfehlt man den Ball vielleicht noch, aber je öfter man es versucht, desto besser kann man die Zeit abschätzen, die der Ball braucht, um einen zu erreichen, und desto leichter kann man ihn fangen. Wie macht unser Gehirn das? „Grundlegend für diesen Prozess sind unsere Fähigkeiten, aus früheren Erfahrungen zu lernen und zeitbezogene Informationen aus der Umgebung zu extrahieren.“, erklärt Ignacio Polti, der die kürzlich in der Zeitschrift eLife veröffentlichte Studie zusammen mit Matthias Nau und Christian Doeller durchgeführt hat. „Jeder Wurf unseres Freundes unterscheidet sich geringfügig von dem des Vorgängers. Manche Bälle kommen früher, manche später an. Während des Spiels lernt das Gehirn die Verteilung der Ankunftszeiten und nutzt diese Informationen, um Erwartungen für zukünftige Würfe zu bilden. Wenn wir dieses Vorwissen mit spezifischen Informationen über den aktuellen Wurf unseres Freundes kombinieren, können wir das Timing unserer Fangversuche verbessern.“
Um dies im Labor zu untersuchen, baten die Forscher 34 TeilnehmerInnen, ein Time-to-Contact-Spiel (TTC) zu spielen, das auf einem Bildschirm in einem Kernspintomographen angezeigt wurde. Bei diesem Spiel mussten sie eine Taste drücken, wenn ein bewegliches Ziel eine feste Grenze erreichte. Das sich bewegende Ziel war nur für eine kurze Zeit sichtbar, bevor es verdeckt wurde. Die Teilnehmenden konnten nicht sehen, wie das Ziel auf die Grenze traf, und konnten sich daher nicht auf visuelle Informationen stützen, um die Zeitintervalle zu schätzen. Darüber hinaus wurde die Geschwindigkeit des sich bewegenden Ziels, wie beim Ballfangspiel, über die verschiedenen Versuche hinweg variiert. Am Ende jedes Versuchs erhielten die TeilnehmerInnen eine Rückmeldung darüber, wie gut sie abgeschnitten hatten. „Wie im obigen Beispiel mit dem Fangball waren wir daran interessiert, wie genau die Teilnehmer die Verteilung der Zeitintervalle in dieser Aufgabe lernen und wie sie ihre Überzeugungen über diese Verteilung im Laufe der Zeit aktualisieren. Dieser Aktualisierungsprozess ist von entscheidender Bedeutung, da er es uns ermöglicht, uns flexibel an veränderte Verhaltensanforderungen in unserer Umgebung anzupassen.“, fasst Matthias Nau zusammen.
Das Team fand heraus, dass die TTC-Schätzungen der Teilnehmer insgesamt nah an der Realität dran waren, dass sie aber eine beständige Tendenz zeigten, kurze Dauern zu überschätzen und lange Dauern zu unterschätzen. Ignacio Polti: „Mit anderen Worten, ihre TTC-Schätzungen waren in Richtung des Durchschnitts aller getesteten TTCs verzerrt. Wir glauben, dass diese Tendenz die Vertrautheit der Teilnehmer mit der Bandbreite der im Spiel erlebten Zeitintervalle widerspiegelt und dass es sich dabei um eine wichtige Verhaltensanpassung zur Bewältigung von Ungewissheit handelt - wenn man sich über den aktuellen Versuch unsicher ist, könnte der Durchschnitt aller anderen Versuche ein guter Schätzwert sein.“ Dieser Durchschnitt muss jedoch aus der Verteilung der erlebten Zeitintervalle abgeleitet werden - ein Lernprozess, der sich in der Gehirnaktivität der Teilnehmer widerspiegeln muss. Um diesen Prozess auf neuronaler Ebene besser zu verstehen, setzten die Forscher das Feedback, das die Teilnehmer am Ende jedes Versuchs erhielten, in Beziehung zu den im MRT-Scanner feststellbaren Veränderungen ihrer Gehirnaktivität.
„Wir fanden Hinweise auf lernbezogene Veränderungen im gesamten Gehirn, insbesondere in Regionen, die typischerweise im Zusammenhang mit Belohnungsverarbeitung und Gedächtnis untersucht werden.“, so fasst Christian Doeller, Direktor am MPI CBS, die Ergebnisse zusammen. „Ein Bereich, der uns besonders interessiert hat, war der Hippocampus - eine Struktur, die normalerweise im Zusammenhang mit dem Gedächtnis für Orte und Ereignisse untersucht wird.” Die Aktivität im Hippocampus spiegelte in der Tat das Feedback wider, das die Teilnehmer erhielten, sowie die Verbesserungen der Aufgabenleistung im Laufe der Zeit. Darüber hinaus spiegelte die Aktivität im Hippocampus die Tendenz im Verhalten wider, kurze Dauern zu überschätzen und lange Dauern zu unterschätzen. Dies deutet darauf hin, dass die Teilnehmer ihr Wissen über die Verteilung der Zeitintervalle tatsächlich verfeinerten und aktualisierten, wenn sie Feedback erhielten, und dass der Hippocampus bei diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielt.
„Wir glauben, dass die von uns entdeckten neuronalen Mechanismen über das Lernen von Intervallen hinausreichen und flexiblem Verhalten weitgehend zugrunde liegen. Sie könnten vielmehr widerspiegeln, wie wir ganz allgemein durch konstruktives Feedback lernen und wie das Gehirn Überzeugungen in Echtzeit bildet und aktualisiert“, sagt Matthias Nau. Die Ergebnisse der Forscher sind auch aus klinischer Sicht relevant, da sie zeigen, wie wir unser Handeln an schnelle Veränderungen in der Umwelt anpassen. Dies ist bei vielen Erkrankungen und Störungen des Gehirns, wie zum Beispiel bei Parkinson, beeinträchtigt.
(Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften)
Originalpublikation:
Ignacio Polti, Matthias Nau, Raphael Kaplan, Virginie van Wassenhove, Christian F Doeller:
"Rapid encoding of task regularities in the human hippocampus guides sensorimotor timing"
In: eLife https://elifesciences.org/articles/79027