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Der Re­gen­wurm in neu­em Licht

Der 3D-CHEMHIST-Atlas oder das hintere Ende des Regenwurms
Der 3D-CHEMHIST-Atlas oder das hintere Ende des Regenwurms, der in dieser Studie verwendet wurde. Der Atlas kombiniert Daten der Massenspektrometrie-Bildgebung (MSI), der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) und der Mikro-Tomographie (micro-CT). (© Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie/PNAS ref.)

Auch wenn sie uns alltäglich erscheinen – Regenwürmer sind etwas ganz Besonderes, denn sie sorgen auf der ganzen Welt für die Gesundheit des Bodens. Von außen wirken sie unscheinbar und einfach. Wie Regenwürmer aber von innen aussehen, von den Organen bis hin zu Mikroben und Parasiten, die diese besiedeln können, war bisher schwer zu erfassen. Forschende des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie haben jetzt eine Methode entwickelt, diese anatomischen Strukturen und deren Produkte des Stoffwechsels eines Regenwurmes zu visualisieren. Das eröffnet neue Wege in der Mikrobiologie, Immunologie und Parasitologie und wurde jetzt im wissenschaftlichen Magazin Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS) veröffentlicht.

Re­gen­wür­mer le­ben im Bo­den in stän­di­ger Wech­sel­wir­kung mit Bak­te­ri­en, Pil­zen und an­de­ren Kleinst­le­be­we­sen. In ih­rem Ge­we­be be­her­ber­gen sie sym­bio­ti­sche Mi­kro­ben oder klei­ne tie­ri­sche Pa­ra­si­ten. Wäh­rend die sym­bio­ti­schen Bak­te­ri­en größ­ten­teils will­kom­me­ne Gäs­te im Ge­we­be sind, kämpft das Im­mun­sys­tem des Re­gen­wurms ge­gen die Pa­ra­si­ten an. Die­se wie­der­um ver­su­chen den An­grif­fen stand­zu­hal­ten. Durch die Kom­bi­na­ti­on neu­ar­ti­ger Bild­ge­bungs­ver­fah­ren ge­lang es nun ei­nem For­scher­team um Be­ne­dikt Gei­er vom Max-Planck-In­sti­tut für Ma­ri­ne Mi­kro­bio­lo­gie (MPIMM) die­se span­nen­de Viel­falt an In­ter­ak­tio­nen, die sich im In­ne­ren des Re­gen­wurms ab­spie­len, ab­zu­bil­den und in ei­nem völ­lig neu­en Licht zu be­trach­ten.  

Un­ser Ver­ständ­nis der che­mi­schen In­ter­ak­tio­nen zwi­schen klei­nen Tie­ren und Mi­kro­or­ga­nis­men, die sich in ih­rem Kör­per auf­hal­ten, ist ex­trem be­grenzt. Die­se Wis­sens­lü­cke hat ih­ren Ur­sprung in ei­ner me­tho­di­schen Her­aus­for­de­rung: Um die grund­le­gen­den Ab­läu­fe von Tier-Mi­kro­ben-Sym­bio­sen auf­zu­de­cken, müs­sen wir ver­ste­hen wel­che che­mi­schen Stof­fe von den ein­zel­nen Part­nern wo pro­du­ziert wer­den. Der Kern die­ser Her­aus­for­de­rung ist es aber nicht nur bild­lich dar­zu­stel­len wie Mo­le­kü­le auf Mi­kro­me­ter­ebe­ne ver­teilt sind. Es ist auch fast un­mög­lich, die che­mi­schen Bil­der bis­he­ri­ger Me­tho­den rich­tig zu in­ter­pre­tie­ren, wenn un­be­kannt ist, ob, wo und mit wel­chen nütz­li­chen oder pa­tho­ge­nen Mi­kro­ben oder so­gar tie­ri­schen Pa­ra­si­ten ein Ge­we­be in­fi­ziert ist.

Eine mög­li­che Lö­sung bie­tet die neue Kom­bi­na­ti­on hoch­auf­lö­sen­der Bild­ge­bungs­ver­fah­ren, wie das For­schungs­team nun ge­zeigt hat. „Wir stel­len in un­se­rer Stu­die die Che­mo-His­to­to­mo­gra­fie vor, eine be­son­de­re drei­di­men­sio­na­le Dar­stel­lung von Che­mie und Ana­to­mie mil­li­me­ter­gro­ßer Tie­re und ih­rer Pa­ra­si­ten auf zel­lu­lä­rer Ebe­ne“, sagt Be­ne­dikt Gei­er, Er­st­au­tor der Un­ter­su­chung. „Die­se Me­tho­de bie­tet eine neue Mög­lich­keit, Pro­duk­te des Stoff­wech­sels in Klein­tier­sym­bio­sen zu vi­sua­li­sie­ren und so­mit die Che­mie dem tie­ri­schen Wirt und sei­nen mi­kro­bi­el­len Part­nern im Mi­kro­me­ter­be­reich räum­lich zu­zu­ord­nen.“

Die Che­mo-His­to­to­mo­gra­fie, von den For­schen­den kurz CHEM­HIST ge­nannt, be­steht aus der Kom­bi­na­ti­on von Mi­kro-Com­pu­ter­to­mo­gra­fie und bild­ge­ben­der MAL­DI-Mas­sen­spek­tro­me­trie. Die hoch­auf­lö­sen­de Mi­kro-Com­pu­ter­to­mo­gra­fie ist nicht-in­va­siv und er­mög­licht eine 3D Dar­stel­lung von His­to­lo­gie, die aus ei­ner Viel­zahl von Rönt­gen­bil­dern ei­ner Pro­be re­kon­stru­iert wird. Die bild­ge­ben­de MAL­DI-Mas­sen­spek­tro­me­trie wie­der­um ist das der­zeit leis­tungs­fä­higs­te Werk­zeug, um mi­kro­me­ter­gro­ße, na­tür­li­che Ver­tei­lun­gen von Stoff­wech­sel­pro­duk­ten zu vi­sua­li­sie­ren und um die che­mi­schen Pro­fi­le ih­rem Pro­duk­ti­ons­ort und mög­li­cher Wei­se ih­rem Pro­du­zen­ten zu­zu­ord­nen.

„Die­ser Fort­schritt er­mög­lich­te es uns, ei­nen Re­gen­wurm aus der Um­welt zu neh­men und ei­nen 3D-At­las sei­ner che­mi­schen und phy­si­ka­li­schen Wech­sel­wir­kun­gen mit Mi­kro­or­ga­nis­men zu er­stel­len, die na­tür­lich in sei­nem Ge­we­be vor­kom­men“, sagt Ma­nu­el Lie­be­ke, Lei­ter der For­schungs­grup­pe Me­ta­bo­li­sche In­ter­ak­ti­on und Be­treu­er der Stu­die. „Wich­tig zu er­wäh­nen ist hier­bei auch, dass uns nicht nur die Bio­lo­gie des Re­gen­wurms in­ter­es­siert. Ei­nes un­se­rer Haupt­zie­le war es, CHEM­HIST auch auf Tie­re an­wend­bar zu ma­chen, die di­rekt ih­rem na­tür­li­chen Le­bens­raum ent­nom­men wur­den und es­sen­ti­ell für die Sym­bio­se­for­schung sind.“ CHEM­HIST über­trifft bis­her ver­gleich­ba­re An­wen­dun­gen, die für die me­di­zi­ni­sche For­schung an Mäu­sen ent­wi­ckelt wur­den, bei ei­ner bis zu zwei Grö­ßen­ord­nun­gen hö­he­ren Auf­lö­sung. Dies kann auch neue Tü­ren für die For­schung an In­sek­ten oder Ko­ral­len er­öff­nen, die an Land wie im Was­ser Schlüs­sel­mo­del­le der Sym­bio­se­for­schung dar­stel­len

Das Gan­ze ist mehr als die Sum­me der Tei­le

Mit der Kom­bi­na­ti­on ver­schie­de­ner in-situ-Bild­ge­bun­gen in CHEM­HIST deck­ten die For­schen­den des MPIMM in Bre­men Me­ta­bo­li­te – also Pro­duk­te des Stoff­wech­sels – im Re­gen­wurm auf, die Auf­schluss ge­ben könn­ten, wie er sich che­misch ge­gen Pa­ra­si­ten wehrt und wie die­se sich wie­der­um ge­gen die Im­mun­ant­wort des Re­gen­wur­mes schüt­zen. Um je­doch über­haupt zu er­ken­nen, dass es sich in den che­mi­schen Bild­data­ten um Me­ta­bo­li­te von Pa­ra­si­ten im Ge­we­be des Re­gen­wurms han­delt, war das ana­to­mi­sche 3D-Mo­dell un­ab­kömm­lich. Ein hoch­auf­lö­sen­der Mi­kro-Com­pu­ter­to­mo­graph am Deut­schen Elek­tro­nen Syn­chro­tron in Ham­burg er­mög­lich­te es erst, die Pa­ra­si­ten im Ge­we­be zu iden­ti­fi­zie­ren.

In Sym­bio­sen ist der Aus­tausch von Stoff­wech­sel­pro­duk­ten zwi­schen Tie­ren und ih­ren Mi­kro­ben be­mer­kens­wer­ter Wei­se nicht auf sym­bio­ti­sche Ge­we­be be­schränkt. Ein Bei­spiel ist die Darm-Hirn-Ach­se, bei der che­mi­sche Ver­bin­dun­gen im Darm von Mi­kro­ben pro­du­ziert wer­den, die dann das Ge­hirn des Wir­tes er­rei­chen und so­mit grund­le­gen­de Pro­zes­se be­ein­flus­sen könn­ten. Hier kann die nun vor­ge­stell­te Er­wei­te­rung der kor­re­la­ti­ven che­mi­schen 3D Bild­ge­bung ent­schei­dend sein, um die Ver­tei­lung von Me­ta­bo­li­ten in sol­chen Sym­bio­sen über Or­ga­ne hin­weg zu er­fas­sen und so­mit eine Ver­bin­dung her­zu­stel­len, wie sich che­mi­sche Si­gna­le von Mi­kro­ben ent­schei­den­de Pro­zes­se in ih­rem Wirt be­ein­flus­sen. Die Me­tho­de kann also viel­fäl­tig ein­ge­setzt wer­den und das For­schungs­team mit Be­ne­dikt Gei­er wen­det sie ge­ra­de mit Tief­see­mu­scheln an.

„Da ich mich seit Jah­ren mit der 3D-Vi­sua­li­sie­rung von wir­bel­lo­sen Tie­ren be­fas­se, war es für mich be­son­ders in­ter­es­sant, die Mo­le­kü­le zu se­hen, die sich hin­ter den mor­pho­lo­gi­schen Struk­tu­ren ver­ste­cken“ sagt Bern­hard Ru­t­hen­stei­ner, Lei­ter der Sek­ti­on In­ver­te­bra­te Va­ria an der Zoo­lo­gi­schen Staats­samm­lung Mün­chen. Er­mög­licht wur­den die Er­geb­nis­se durch eine in­ter­dis­zi­pli­nä­re Zu­sam­men­ar­beit, die Wis­sen­schaft­ler aus den Ge­bie­ten der Mi­kro­bio­lo­gie, Zoo­lo­gie, Che­mie und Phy­sik an ei­nen Tisch ge­bracht hat. Da­bei wur­de schnell klar, dass eine Vi­sua­li­sie­rung wie der kor­re­la­ti­ve 3D-At­las des Wurms die Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on der Da­ten för­dert.

Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie


Originalpublikation:

Benedikt Geier; Janina Oetjen; Bernhard Ruthensteiner; Maxim Polikarpov; Harald Gruber-Vodicka; Manuel Liebeke: Connecting structure and function from organisms to molecules in small animal symbioses through chemo-histo-tomography, PNAS, Juni 2021

https://doi.org/10.1073/pnas.2023773118