Der grüne Landesgesundheitsminister in Baden-Württemberg, Manne Lucha, widerspricht dieser Entwicklung und will solche Vorgänge genau prüfen lassen. Die Arzneimittelexpertin derselben Partei, Paula Piechotta, widerspricht dagegen der These, es gäbe „eine ganze Reihe klinischer Studien, die eine Wirkung der Homöpathie belegen“ würde. Und die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim macht in ihrer vielbeachteten Sendung MaiThinkX in ZDFneo deutlich, dass von Globuli keine Wirkung zu erwarten sei.
Diese Diskussion ist Grund genug, sich die wissenschaftlichen Argumente zur Wirksamkeit von Globuli einmal genauer anzusehen. Im besten Fall basieren diese auf randomisierten Studien. „Randomisiert“ bedeutet, dass Patientinnen und Patienten zufällig auf zwei Gruppen verteilt werden. Einer der Gruppen werden Globuli verabreicht, während die zweite Kontrollgruppe lediglich ein Placebo erhält, also ein Scheinmedikament ohne Wirkstoffe. Im besten Fall sind solche RCTs (Randomized Controlled Trials) auch noch doppelt verblindet, so dass weder die Patienten noch die Studienleiter wissen, wer Globuli und wer lediglich ein Placebo erhalten hat.
Durch die zufällige Aufteilung sollen alle weiteren Störfaktoren ausgeschaltet werden, beispielsweise unterschiedliche Schweregrade der Erkrankung, Alters- oder Geschlechtseffekte. Die Verblindung soll dafür sorgen, dass nicht allein der Glaube an die Globuli zu einer Veränderung des Wohlbefindens führt.
Zufall und zu viele Studienteilnehmer können Wirksamkeit suggerieren
Ein Rest an zufälliger Schwankung bleibt aber immer, selbst wenn man erfolgreich alle weiteren Faktoren neutralisiert, die die Studienergebnisse verzerren könnten. Daher kommen statistische Tests zum Einsatz, die anzeigen, ob ein möglicher Effekt auf System oder Zufall beruht. Die Idee dahinter: Wenn ein Wirkungs-Unterschied zwischen den Gruppen so groß ist, dass er sich zu 95 Prozent nicht mehr durch Zufall erklären lässt, ist er „echt“ bzw. in der Sprache von Statistikern „signifikant“. Ein kleiner sogenannter p-Wert ist eben die Messgröße für diese Signifikanz. Das heißt aber umgekehrt: Selbst der beste Test kommt auch bei Abwesenheit jedweden Effekts in 5 Prozent der Fälle zu falsch-positiven Ergebnissen.
Anders gesagt: Wenn man 100 derartige Studien durchführt, ist zu erwarten, dass man allein aufgrund der statistischen Unsicherheit in 5 Studien eine Wirkung findet, selbst wenn keine Wirkung vorliegt. Und diese Studien werden von den Anhängern der Homöopathie natürlich in den Vordergrund gerückt.
Ein zweites Qualitätskriterium wissenschaftlicher Studien mag zunächst erstaunen: Sie dürfen nicht zu groß sein. Denn mit großen Teilnehmer-Zahlen werden selbst winzig kleine Unterschiede zwischen Gruppen signifikant. Deshalb müssen die Ersteller seriöser wissenschaftliche Studien vorab eine Fallzahlplanung vorlegen. Darin wird genau festgelegt, wie viele Patienten behandelt werden müssen, damit ein klinisch relevanter – also ein inhaltlich bedeutsamer – Effekt mit hoher Wahrscheinlichkeit gefunden wird, sofern er tatsächlich vorhanden ist. Das hat den Vorteil, dass man sich vorab darauf festlegen muss, ab wann eine Wirkung groß genug ist, um für den Patienten überhaupt einen Unterschied zu machen.
Aus diesem Grund sind Studien zu homöopathischen Mitteln oder auch Nahrungsergänzungsmitteln gerade dann mit Vorsicht zu genießen, wenn Tausende von Menschen daran teilgenommen haben.
Studien zur Wirksamkeit von Globuli sind in Fachzeitschriften überrepräsentiert
Diese zwei Gründe für die gelegentliche (Schein-)Evidenz zur Wirksamkeit von Globuli (und anderen Wirkstoffen) werden dann noch durch den sogenannten Publikations-Bias verstärkt. Denn so wie große Publikumsmedien selten titeln „Heute ist nichts passiert!“, publizieren auch Fachzeitschriften lieber statistisch signifikante Ergebnisse. Dies scheint gerade bei Studien zur Wirksamkeit homöopathischer Behandlungen ein erhebliches Problem zu sein, wie beispielsweise diese Untersuchung zeigt. Es führt im Ergebnis dazu, dass in Fachzeitschriften Studien, die eine Wirksamkeit von Globuli zeigen, überrepräsentiert sind. Die zahlreichen Studien, die keine Wirkung nachweisen, verschwinden hingegen in den Schubladen der Wissenschaft.
Dazu kommt ein weiteres Problem. Selbst gutgeplante randomisierte Experimente können mit erheblichen Fehlern belastet sein. Insbesondere dann, wenn das Placebo nicht bloß unwirksam ist, sondern sogar schadet.
Auf einen besonders dramatischen Fall hat kürzlich Prof. Dr. Stephan Martin hingewiesen: In einer Studie sollte eine mögliche Schutzwirkung von Fischöl untersucht werden. In einem randomisierten Experiment mit mehr als 8.000 Patienten erhielt ein Teil der Patienten ein Präparat von hochdosierter Eicosapentaensäure (Fischöl). Die Kontrollgruppe bekam ein mit Mineralöl versetztes Placebo, um die Farbe und Konsistenz des Fischöls möglichst genau abzubilden. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Fischöl das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen um 25 Prozent reduziert.
Eine Folgestudie konnte dieses Ergebnis jedoch nicht bestätigen. In der Fischölgruppe änderte sich nichts, aber der Gesundheitszustand der mit Placebo-Mineralöl behandelten Patienten wurde schlechter. Die „positiven“ Gesundheitseffekte der ersten Studie sind also mutmaßlich dadurch zustande gekommen, dass man die Kontrollgruppe vergiftet hat.
Insgesamt zeigt die bisher vorliegende empirische Evidenz, dass Globuli und Nahrungsergänzungsmittel über einen eventuellen Placebo-Effekt hinaus keine Wirkung haben. Interessierte können sich beim Harding Zentrum für Risikokompetenz anhand von Faktenboxen zur Wirksamkeit homöopathischer und Nahrungsergänzungsmittel näher informieren.
Mit der „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Thomas K. Bauer jeden Monat sowohl jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen. Alle „Unstatistiken“ finden Sie im Internet unter www.unstatistik.de und unter dem Twitter-Account @unstatistik. Unstatistik-Autorin Katharina Schüller ist zudem Mit-Initiatorin der „Data Literacy Charta“, die sich für eine umfassende Vermittlung von Datenkompetenzen einsetzt. Die Charta ist unter www.data-literacy-charta.de abrufbar.
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