Alljährliche werden zur Begrüßung des neuen Jahres weltweit Feuerwerke gezündet. Das nächtliche Spektakel mit Licht, Farben und Lärm erfreut Menschen – Tiere jedoch weniger. Wie alle Besitzerinnen und Besitzer von Haustieren wissen, kann die Kombination aus lauten Explosionen, hellen Lichtern und Qualm Angst und Desorientierung bei Tieren auslösen. In den Ländern Westeuropas wird dieses Spektakel noch dadurch verstärkt, dass Feuerwerkskörper allgemein erhältlich sind und an Silvester selbst gezündet werden darf. Dies verstärkt die Störungen um ein Vielfaches, da es sich nicht um einige wenige zentrale Feuerwerkshows handelt, sondern um flächendeckende Explosionen.
Wissenschaftliche Studien belegen die negativen Folgen von Feuerwerk auf Wildvögel in Europa. In den Niederlanden konnte 2011 mit Hilfe von Wetterradar gezeigt werden, dass tausende Vögel in der Silvesternacht um Punkt Mitternacht in die Luft flohen. Bisher unklar war jedoch, ob Feuerwerk wichtige Verhaltensweisen wie Fressen und Schlafen stört und ob die Tiere direkt nach der nächtlichen Störung zu ihren natürlichen Verhaltensweisen zurückkehren.
Gänse mit GPS
Mit GPS-Sendern konnten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen nun die Folgen des weitflächigen Silvesterfeuerwerks für das Verhalten von Vögeln messen. Hierfür wurden Bewegungsmuster von 347 Gänsen im Zeitfenster vom 19. Dezember bis zum 12. Januar in acht aufeinanderfolgenden Jahren untersucht. Die vier untersuchten Arten – Bläss-, Weißwangen-, Kurzschnabel- sowie Saatgänse – sind arktische Zugvögel, die ihre Winter in Norddeutschland, Dänemark und den Niederlanden verbringen.
Die Studie zeigt, dass alle vier Arten als Reaktion auf das Feuerwerk ihr Verhalten signifikant ändern. Normalerweise kehren die Vögel mehrere Nächte zum gleichen Schlafgewässer zurück und sparen Energie indem sie sich bewegungsarm auf der Wasseroberfläche ausruhen. Nachdem das Feuerwerk jedoch in den untersuchten Silvesternächten gezündet wurde, verließen die Gänse häufig ihre Schlafstellen und flogen im Mittel 5 – 16 Kilometer weiter und 40 – 150 Meter höher als in den Nächten davor. „Es ist schockierend zu sehen wie viel weiter die Vögel in der Silvesternacht wirklich fliegen“, sagt Andrea Kölzsch, Wissenschaftlerin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Erstautorin der Studie. „Einige Tiere flogen Hunderte von Kilometern in einer einzigen Winternacht, Distanzen die sie normalerweise nur währen des Zuges zurücklegen.“
Flucht vor Feinstaub
Des Weiteren analysierte das Team die Feinstaubbelastung der Luft um die Schlafgewässer, die in der Silvesternacht in allen untersuchten Gebieten um bis zu 650 Prozent anstieg. „Wir konnten feststellen, dass Vögel Ihre gewohnten Schlafgewässer verlassen und neue Orte wählen, die weiter entfernt von menschlichen Siedlungen liegen und eine geringere Feinstaubkonzentrationen aufweisen. Das ist ein starkes Indiz dafür, dass die Gänse versuchen dem Feuerwerk zu entkommen“, sagt Kölzsch.
Neben dieser direkten Reaktion auf das Feuerwerk, fraßen die Vögel in den zwölf Tagen nach Silvester zehn Prozent länger und bewegten sich tagsüber deutlich weniger. „Die Tiere versuchen wahrscheinlich die Energie zu kompensieren, die sie in der Nacht des Feuerwerks ungeplant aufwenden mussten“, sagt Bart Nolet, Wissenschaftler am Niederländischen Institut für Ökologie und Letztautor der Studie.
Im letzten Jahr der Untersuchung konnte das Team durch besondere Umstände einen Kontrollfall der Feuerwerk-Aktivität untersuchen. Während des Covid-19 bedingten Lockdowns des Jahreswechsels 2020/21 wurde in vielen Ländern der Verkauf von Feuerwerk verboten, was zu geringeren Störungen führte. Trotzdem wurden erhöhte Flugaktivitäten, -distanzen und -höhen bei zwei der vier Arten gemessen. „Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass sogar geringe Störungsintensitäten durch Feuerwerk das Verhalten der Gänse derart ändern, dass zumindest in strengen Wintern ihre Überlebenswahrscheinlichkeit reduziert sein kann“, sagt Nolet. „Um den Tieren sichere Rückzugsgebiete bereitzustellen, sollte Partyfeuerwerk in der Nähe von Nationalparks, Vogelschutzgebieten und anderen wichtigen Ruhegebieten verbannt werden.“
Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie
Originalveröffentlichung:
Andrea Kölzsch, Thomas K. Lameris, Gerhard J.D.M. Müskens, Kees H.T. Schreven, Nelleke H. Buitendijk, Helmut Kruckenberg, Sander Moonen, Thomas Heinicke, Lei Cao, Jesper Madsen, Martin Wikelski, Bart A. Nolet: Wild goose chase: geese flee high and far, and with aftereffects from New Year’s fireworks. Conservation Letters, conbio.onlinelibrary.wiley.com/doi/pdf/10.1111/conl.12927