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Berliner Erklärung: Für die Zukunft der Menschheit

Portrait eines Tukan
Bild von Heike Hartmann auf Pixabay

Der Verlust der Artenvielfalt und der globale Klimawandel sind die größten und drängendsten Herausforderungen der Zukunft. Nichts weniger als unsere eigene Existenz steht auf dem Spiel. Unter der Federführung der drei Leibniz-Naturforschungsmuseen ruft ein breites Bündnis renommierter Forscher:innen in ihrer heute veröffentlichten „Berliner Erklärung“ Deutschland dazu auf, der besonderen Verantwortung der G7-Präsidentschaft bei der Bekämpfung dieser „Zwillingskrise“ gerecht zu werden. In ihrem Positionspapier präsentieren die Forschenden konkrete Handlungsempfehlungen mit „naturbasierten Lösungen“ als einem wesentlichen Schlüssel zum Erfolg.

Seit dem 16. Jahrhundert sind mindestens 680 Wirbeltierarten ausgestorben. Prognosen zufolge könnten wir weltweit innerhalb der nächsten Jahrzehnte 40 Prozent aller Insekten verlieren. 75 Prozent der natürlichen Landökosysteme und etwa 66 Prozent der Meeresökosysteme sind bereits erheblich beeinträchtigt oder gar zerstört worden – rund 3,2 Milliarden Menschen sind hiervon heute schon betroffen. „Gelingt es uns in dieser Dekade nicht, den katastrophalen Verlust der Biologischen Vielfalt aufzuhalten, laufen wir Gefahr, bis zu einer Million Arten zu verlieren und 80 Prozent der Nachhaltigkeitsziele sowie zentrale Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens nicht zu erreichen!“, warnt Prof. Johannes Vogel, Generaldirektor am Museum für Naturkunde Berlin und fährt fort: „Der ungebremste Verlust der Biodiversität und die zunehmende Erderwärmung sind die Herausforderungen für die Zukunft unserer Gesellschaft Zukunft.“

In der heute unter der Federführung der Direktoren der drei Leibniz- Naturforschungsmuseen veröffentlichten zweiseitigen „Berliner Erklärung“ fordert ein breites Bündnis von Forschenden Deutschland zu energischeren Anstrengungen für ein Gelingen des Weltnaturgipfels auf. Mit der derzeitigen G7-Präsidentschaft trage

Deutschland eine besondere Verantwortung, habe aber gleichzeitig erhebliches Potenzial, jetzt entscheidende Beiträge zur Bewältigung der „Zwillingskrise“ zu leisten. Um der Führungsrolle gerecht zu werden, schlagen die Forschenden in der „Berliner Erklärung“ eine Reihe konkreter Maßnahmen vor – allen voran „naturbasierte Lösungen“. Unter diesen versteht man Maßnahmen zum Schutz, zur nachhaltigen Bewirtschaftung und Wiederherstellung natürlicher oder veränderter Ökosysteme, die gleichzeitig dem menschlichen Wohlergehen und der Artenvielfalt zugutekommen. So soll sich Deutschland beispielsweise beim Weltnaturgipfel Ende August mit Nachdruck dafür einsetzen, dass bis 2030 global 30 Prozent der Land- und Meeresflächen wirksam geschützt und weitere 20 Prozent renaturiert werden. Eine klare Priorisierung des nachhaltigen Schutzes der arten- und kohlenstoffreichsten Gebiete der Erde sei dabei essenziell.

Zudem müsse deutlich mehr Geld in den Biodiversitätsschutz investiert werden: Um der Verantwortung gegenüber dem globalen Süden gerecht zu werden, sollte Deutschland unter anderem die bereits im Koalitionsvertrag vereinbarte „erhebliche“ Erhöhung von derzeit ca. 800 Millionen Euro auf vorerst mindestens zwei Milliarden Euro jährlich erhöhen. Mittelfristig seien 8 Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Der 2021 von Deutschland ins Leben gerufene internationale „Legacy Landscape Fund“ sei ein sehr mächtiges Instrument zum nachhaltigen Schutz der arten- und kohlenstoffreichsten Gebiete der Erde, so die Unterzeichner: innen: Eine Milliarde Euro an zusätzlichen privaten Mitteln könnten global mobilisiert werden, wenn zwei Milliarden Euro öffentliche Gelder investiert würden. Statt bisher sieben könnten so global bis zu 100 Großschutzgebiete dauerhaft für zukünftige Generationen gesichert werden. Laut der „Berliner Erklärung“ können die knapp 67 Milliarden Euro an jährlichen umweltschädlichen Subventionen in Deutschland, von denen rund 90 Prozent als klimaschädlich eingestuft sind, für die Finanzierung solcher Maßnahmen genutzt werden. Diese öffentlichen Mittel sollten so eingesetzt werden, dass sie positiv sowohl auf den Erhalt der Natur als auch auf den Klimaschutz wirken.

Prof. Dr. Bernhard Misof, Direktor am Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels: „Wir können die ‚Zwillingskrise‘ nur gemeinsam und mit der Natur bewältigen. Es gilt Synergien zu nutzen. Negative Auswirkungen auf die jeweils andere Krise müssen explizit vermieden werden. Führende Wissenschaftler:innen und Ökonom:innen sehen ‚naturbasierte Lösungen‘ als eine wirtschaftlich effiziente Möglichkeit an, um die Erhaltung von Ökosystemen und Renaturierungen voranzutreiben. Hierdurch wird die für uns Menschen wertvolle Biodiversität geschützt und gleichzeitig wird die globale Erwärmung nachhaltig eingedämmt. Investitionen in ‚naturbasierten Lösungen‘ generieren Vorteile mit hohem Nutzen in monetärer und nicht monetärer Hinsicht. Allein durch den Schutz von Mangrovenwäldern können jährlich 80 Milliarden US-Dollar an Schäden vermieden werden und damit gleichzeitig 18 Millionen Menschen geschützt werden.“

Der Generaldirektor der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und Initiator der „Berliner Erklärung“ Prof. Dr. Klement Tockner fasst zusammen: „Wir benötigen klare Prioritäten beim Schutz und beim aktiven Management der Natur. Die wissenschaftlichen Fakten liegen auf dem Tisch – und sind überzeugend! Wir verlieren mit der biologischen Vielfalt die ‚Bibliotheken der Natur‘ in einer ungeahnten Geschwindigkeit – um das mehr als 100-fache im Vergleich zum natürlichen Verlust. Es mangelt jedoch noch immer an Problembewusstsein, Mut zum Handeln und an einer entschlossenen, wirksamen Umsetzung durch Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Nur mit einer grundlegenden gesellschaftlichen Transformation im Umgang mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen können die notwendigen Ziele im Klima- und Biodiversitätsschutz erreicht werden. Wir sind es unseren Kindern, Enkelkindern und den späteren Generationen schuldig!“
(Museum für Naturkunde - Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung)


Berliner_Erklärung_final.pdf (museumfuernaturkunde.berlin)