Wie passen Tiere ihr Verhalten im Laufe des Lebens an, um ihr Überleben und ihre Fortpflanzung zu sichern? Diese Frage beschäftigt Verhaltensbiologen weltweit. Unter anderem untersuchen sie dabei hormonelle Mechanismen, die das Verhalten der Tiere grundlegend beeinflussen und dadurch Anpassungen an verschiedene soziale Situationen ermöglichen.
Vor allem durch die Forschung mit Meerschweinchen ist seit Längerem bekannt, dass die soziale Umwelt während der Adoleszenz, also dem Zeitraum von später Kindheit über die Pubertät bis ins Erwachsenenalter, einen erheblichen Einfluss darauf hat, wie sich Individuen im späteren Leben verhalten. So sind beispielsweise Männchen, die während dieser Zeit nur mit einem Weibchen aufwuchsen, fremden Männchen gegenüber besonders aggressiv. Verhaltensbiologen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) konnten nun erstmals zeigen, dass die Männchen auch im Erwachsenenalter in der Lage sind, ihre Hormonsysteme an Veränderungen in der sozialen Umwelt anzupassen.
Die männlichen Meerschweinchen des Experiments wuchsen in verschiedenen sozialen Haltungsbedingungen auf – entweder in großen, gemischtgeschlechtlichen Kolonien mit einer Vielzahl von Artgenossen unterschiedlichen Alters oder paarweise mit einem gleichaltrigen Weibchen. Im Erwachsenenalter setzten die Wissenschaftler die Männchen individuell in eine Paarhaltung mit einem unbekannten Weibchen. So wurde für Männchen, die aus der Koloniehaltung stammten, eine Veränderung der sozialen Nische bewirkt.
Dagegen wurde für die Männchen aus der Paarhaltung zwar die weibliche Sozialpartnerin verändert - das Paarleben blieb jedoch gleich. Um unmittelbare Reaktionen der Männchen auf die neue soziale Umwelt festzustellen, beobachtete das Forscherteam das Verhalten der Männchen und bestimmte die Konzentrationen der Hormone Testosteron und Cortisol.
„Wir konnten nachweisen, dass die vorher in Kolonien gehaltenen Männchen einen Monat nach dem Umsetzen in eine Paarhaltung mit einem unbekannten Weibchen einen Abfall im Testosteron-Spiegel und einen Anstieg in der Cortisol-Antwort zeigten. Demnach glichen sich ihre Hormonsysteme denen von Männchen in der Paarhaltung an. Dadurch können die Tiere höchstwahrscheinlich auch ihr Verhalten an die neue Situation anpassen“, erläutert Alexandra Mutwill, Doktorandin bei Prof. Dr. Norbert Sachser am Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie der WWU und Erstautorin der Studie. „Da im Fall der vorher paarweise gehaltenen Männchen zwar die Sozialpartnerin, nicht aber die soziale Nische verändert wurde, veränderten sich die Hormonsysteme nicht – der niedrige Testosteron-Spiegel und die hohe Cortisol-Antwort blieben bestehen.“
Wenn Meerschweinchen in einer großen Kolonie mit vielen anderen Tieren leben, ist ein hormoneller Status von Vorteil, der eine weniger aggressive Verhaltenstaktik begünstigt. Nach dem Umsetzen in eine Paarhaltung ist allerdings ein veränderter Hormonstatus förderlich, der es erlaubt, mit einer aggressiveren Taktik die Sozialpartnerin gegebenenfalls gegenüber fremden Männchen zu verteidigen. Die Veränderung in den Hormonsystemen schuf bei den Männchen aus der Koloniehaltung die Basis für so einen Wechsel der Taktik und repräsentiert wahrscheinlich eine evolutionäre Anpassung.
WWU
Originalpublikation:
Mutwill, A.M., Zimmermann, T.D., Hennicke, A., Richter, S.H., Kaiser, S., Sachser, N. (2020): Adaptive reshaping of the hormonal phenotype after social niche transition in adulthood. Proc. R. Soc. B Biol. Sci. 287: 20200667.