Ohne Chlorophyll und Häm wäre das Leben auf der Erde nicht möglich. Die Abbauprodukte dieser „Pigmente des Lebens“, die sogenannten Phyllobiline bzw. die Biline, ähneln sich strukturell und wurden lange Zeit nur als Abfallprodukte von Entgiftungsprozessen angesehen: Phyllobiline sind Produkte des Chlorophyllabbaus in alternden Blättern, kommen aber auch in reifenden Früchten oder gelagertem Gemüse vor. Biline entstehen beim Häm-Abbau in der Leber von Säugetieren und werden auch in Algen, Bakterien oder niederen Wirbeltieren gebildet, wo sie etwa für die bläuliche Farbe von Eierschalen verantwortlich sind.
In der Zwischenzeit wurden für die Biline jedoch physiologisch relevante Bioaktivitäten nachgewiesen, z.B. als starke endogene Antioxidantien. „Jüngste Arbeiten in meinem Labor haben gezeigt, dass auch Phyllobiline als bioaktive Verbindungen vielversprechend sind“, sagt Simone Moser, Leiterin einer Arbeitsgruppe in der Pharmazeutischen Biologie (Prof. Vollmar) am Department für Pharmazie der LMU. „Unser Ziel ist es, die Erforschung der physiologischen Rolle der Phyllobiline voranzutreiben, die im Vergleich zu den Bilinen noch immer Aufholbedarf hat.“
Die Identifizierung direkter Proteininteraktionen von Naturstoffen ist essentiell, um ihre Bioaktivität und ihre physiologische Wirkung sowie die zugrundeliegenden Mechanismen zu verstehen.. Über die relevanten Protein-Zielverbindungen, sogenannte Targets, von Phyllobilinen und Bilinen ist jedoch wenig bekannt; für Phyllobiline wurde bisher kein menschliches Target identifiziert, obwohl sie mit der Nahrung aufgenommen werdenin der Nahrung vorkommen.
Phyllobiline und Biline sind Aktin-‚Destabilisatoren'
In einem funktionellen Screening mit Krebszellen stellte sich heraus, dass zwei farbige Phyllobiline, ein gelbes Phylloxanthobilin und ein pinkes Phylloroseobilin, sowie die Biline Bilirubin und Biliverdin, die Zellmigration von Krebszellen hemmen – ein Prozess der etwa bei der Metastasierung von Bedeutung ist. Die Zellmigration hängt weitgehend von der Dynamik des Zellskeletts ab, insbesondere von der Polymerisation und Depolymerisation seiner Aktinfilamente. „Als wichtigen Teil der Zellmigrationsmaschinerie haben wir mithilfe von fluoreszenzmarktiertem Aktin die Auswirkungen unserer Verbindungen auf die Aktinmorphologie in Zellen sowie auf die Aktindynamik in vitro untersucht", erklärt Cornelia Karg, Doktorandin in Mosers Forschungsgruppe und Erstautorin der im Journal Angewandte Chemie veröffentlichten Arbeit. „Dabei haben wir eine Anhäufung von Aktinfilamenten in Krebszellen nach Behandlung mit Phyllobilinen beobachtet und konnten zeigen, dass die Phyllobiline und Biline an Aktin binden, dessen Polymerisation und Nukleation hemmen und den Depolymerisationsprozess verstärken, wodurch sie als Destabilisatoren des Aktin-Zytoskeletts wirken.“
Die Frage nach der biologischen Bedeutung der Abbauprodukte ist noch immer nicht geklärt. Viele Organismen wie Bakterien, Pflanzen oder Tiere produzieren Naturstoffe mit aktinbindenden Eigenschaften, und mehrere Studien deuten darauf hin, dass diese Substanzen möglicherweise eine Rolle für die Abwehrmechanismen des jeweiligen Organismus spielen. Interessanterweise wurden Phyllobiline kürzlich mit der pflanzlichen Abwehr gegen Pathogenbefall, also dem Eindringen von Krankheitserregern, in Verbindung gebracht.
„Mit unseren Ergebnissen sind wir nun einen Schritt weitergekommen, die Bedeutung des Abbaus von zwei der wichtigsten Pigmente auf der Erde zu verstehen". schlussfolgert Moser.
(Ludwig-Maximilians-Universität München)
Originalpublikation:
Karg, C., Wang, S., Al Danaf, N., Pemberton, R., Bernard, D., Kretschmer, M., Schneider, S., Zisis, T., Vollmar, A., Lamb, D., Zahler, S. and Moser, S. (2021), Tetrapyrrolic pigments from heme- and chlorophyll breakdown are actin-targeting compounds. Angewandte Chemie International Edition. Accepted Author Manuscript. https://doi.org/10.1002/anie.202107813