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Meilenstein der Hirnforschung: Informationsverarbeitung entschlüsselt

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Bremer Team entschlüsselt Informationsverarbeitung im Gehirn, Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Es kommt nicht nur auf den Inhalt einer Information an, entscheidend ist, ob sie im richtigen Moment auf aufnahmebereite Nervenzellen trifft. Die Entdeckung dieses grundlegenden Mechanismus der selektiven Informationsverarbeitung ist ein wichtiger Meilenstein für das Verständnis von Aufmerksamkeitsstörungen, Demenz und für die Entwicklung neurotechnologischer Anwendungen. 

Dass das Gehirn Informationen bevorzugt verarbeitet, auf die wir unsere Aufmerksamkeit richten, ist seit Langem bekannt – ein klassisches Beispiel ist der sogenannte Cocktailparty-Effekt: „In einer Umgebung voller Stimmen, Musik und Nebengeräusche gelingt es dem Gehirn, sich auf eine einzelne Stimme zu konzentrieren. Die übrigen Geräusche sind objektiv nicht leiser, werden aber in diesem Moment weniger stark wahrgenommen“, erläutert Hirnforscher Dr. Eric Drebitz von der Universität Bremen. Das Gehirn richte seine Verarbeitung auf die gerade relevanten Informationen aus – in diesem Fall die Stimme des Gesprächspartners oder der Gesprächspartnerin –, während andere Signale zwar eintreffen, jedoch nicht in gleichem Maße weitergeleitet und verarbeitet würden. 

Drebitz: „Unklar war bislang, wie dieser überlebenswichtige Mechanismus der Auswahl relevanter Informationen gesteuert wird: Wenn man eine Straße überquert und plötzlich ein Auto von der Seite auftaucht, richtet das Gehirn seine Verarbeitung sofort auf diese eine visuelle Information – die Bewegung des Fahrzeugs – aus. Andere Eindrücke wie Schilder, Passanten oder Werbetafeln treten in den Hintergrund, weil sie die Aufmerksamkeit ablenken und die Reaktion verlangsamen würden. Nur durch diese gezielte Priorisierung ist es möglich, schnell zu reagieren und auszuweichen.“

Zeitliche Abstimmung: der Schlüssel zur Informationsverarbeitung

Das Team um Neurowissenschaftler Andreas Kreiter und Eric Drebitz hat nun erstmals kausal nachgewiesen, wie das Gehirn relevante Informationen weiterleitet und verarbeitet: „Ob ein Signal im Gehirn weiterverarbeitet wird, hängt entscheidend davon ab, ob es im richtigen Moment – in einer kurzen Phase erhöhter Empfänglichkeit der Nervenzellen – eintrifft“, erläutert der Neurowissenschaftler Drebitz: „Nervenzellen arbeiten nicht kontinuierlich, sondern in einem schnellen Takt: Für wenige Millisekunden sind sie besonders aktiv und empfänglich, dann folgt ein Zeitfenster geringerer Aktivität und Erregbarkeit. Dieser Zyklus wiederholt sich etwa alle 10 bis 20 Millisekunden. Nur wenn ein Signal kurz vor dem Höhepunkt dieser aktiven Phase eintraf, veränderte es das Verhalten der Neurone.“ Diese zeitliche Abstimmung sei der grundlegende Mechanismus der Informationsverarbeitung. Die Aufmerksamkeit nutze diesen Mechanismus gezielt, indem sie die Taktung der Nervenzellen so ausrichte, dass relevante Signale genau in diesem Zeitfenster ankämen, während andere außen vor blieben.

Um die Ursache für diesen grundlegenden Mechanismus unseres Gehirns nachweisen zu können, wurde die selektive Reizweiterleitung bei Rhesusaffen untersucht – einer Art, die dem Menschen in der Organisation der Großhirnrinde stark ähnelt. Die Tiere lösten am Bildschirm eine visuelle Aufgabe, während in einem frühen Abschnitt des visuellen Verarbeitungswegs (Areal V2) sehr schwache elektrische Reize erzeugt wurden. Diese künstlichen Signale hatten keinen Bezug zur Aufgabe und dienten ausschließlich als Testreize. Anschließend analysierte das Team, wie sich diese Signale auf ein nachgeschaltetes Areal (Areal V4) auswirkten. „Die künstlich ausgelösten Signale beeinflussten die Aktivität der Nervenzellen in V4 nur dann, wenn sie in einer kurzen Phase erhöhter Empfänglichkeit eintrafen. Kam dasselbe Signal zu früh oder zu spät, blieb es wirkungslos. Traf es im sensiblen Zeitfenster ein, veränderte es nicht nur die Aktivität der Nervenzellen, sondern auch das Verhalten der Tiere: Sie reagierten langsamer und machten mehr Fehler – woraus sich schließen lässt, dass das Testsignal, das keine Informationen für die Aufgabe enthielt, Teil der Verarbeitung wurde und so die Durchführung der eigentlichen Aufgabe störte“, sagt Drebitz.

Wichtig für Verständnis des Gehirns und Behandlung von Alzheimer und ADHS

„Die Ergebnisse bieten eine Grundlage für präzisere Modelle des Gehirns. Sie zeigen, wie Informationen ausgewählt und gewichtet werden, bevor sie zu Wahrnehmung, Lernen und Verhalten führen“, so Drebitz. Dieses Wissen sei jedoch nicht nur für die Grundlagenforschung von Bedeutung, sondern etwa auch für die Medizin, „da Krankheiten wie zum Beispiel Alzheimer oder ADHS mit Problemen bei der selektiven Verarbeitung und Speicherung von relevanten Informationen einhergehen. Und für neue Technologien wie Brain-Computer-Interfaces, die direkt mit dem Gehirn kommunizieren.“ Damit solche Systeme zuverlässig arbeiteten, müssten sie Informationen exakt getaktet einspeisen und die Muster der Nervenzellen korrekt auslesen. Auch die Entwicklung Künstlicher Intelligenz (KI) könne von diesen Prinzipien profitieren, da sie als Vorlage für besonders flexible und effiziente Verarbeitung dienen könne.

Universität Bremen


Originalpublikaton:

Drebitz, E., Rausch, LP. & Kreiter, A.K. Gamma-band synchronization between neurons in the visual cortex is causal for effective information processing and behavior. Nat Commun 16, 7380 (2025). 
https://doi.org/10.1038/s41467-025-62732-8