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Die Berliner Mischung: Igel bilden keine genetisch isolierten Bestände in der Hauptstadt

Igelmonitoring des Leibniz-IZW im Treptower Park in Berlin
Igelmonitoring des Leibniz-IZW im Treptower Park in Berlin Anne Berger

Igel leben sowohl auf dem Lande als auch in größeren Städten. Da in ländlichen Regionen die Bestände kontinuierlich abnehmen, sind die Mehrzahl der Igel mittlerweile Stadtbewohner. Um diese Bestände effizient zu schützen, müssen die Anpassungsstrategien (und deren Grenzen) dieser Kleinsäuger an menschlich dominierte Lebensräume besser verstanden werden. Die von Dr. Anne Berger vom Leibniz-IZW mit herausgegebene Spezialausgabe „applied hedgehog conservation research“ der Fachzeitschrift „Animals“ schließt einen Teil dieser Forschungslücke. Darin: Trotz erheblicher Barrieren im Stadtbild schaffen es die wenig mobilen Igel, in Berlin eine gemeinsame genetische Population zu erhalten.

Igel leben sowohl auf dem Lande als auch innerhalb größerer Städte. Da insbesondere in ländlichen Regionen die Bestände kontinuierlich abnehmen, sind die Mehrzahl der Igel mittlerweile Stadtbewohner. Um diese Bestände effizient zu schützen, müssen die Anpassungsstrategien (und deren Grenzen) dieser Kleinsäuger an menschlich dominierte Lebensräume besser verstanden werden. Die von Dr. Anne Berger vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) mit herausgegebene Spezialausgabe zur angewandten Naturschutzforschung bei Igeln („applied hedgehog conservation research“) der Fachzeitschrift „Animals“ schließt einen Teil dieser Forschungslücke. Ein darin publiziertes neues Forschungsergebnis: Trotz erheblicher Barrieren im Stadtbild wie Straßen oder Gewässer schaffen es die wenig mobilen Igel, in Berlin eine gemeinsame genetische Population zu erhalten. Für den Genfluss und damit für die Widerstandsfähigkeit der lokalen Igelbestände seien sowohl Grünkorridore als auch Translokationen durch den Menschen verantwortlich, so das Fazit.

Für diese Untersuchung analysierten Kolleginnen und Kollegen vom Leibniz-IZW das Genom von 143 Berliner Igeln. Eine Clusteranalyse der Erbgut-Informationen ergab drei genetische Gruppierungen, die die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf direkte Verwandtschaftsverhältnisse zurückführten. „Wenn diese direkten Familiengruppen in der Analyse nicht berücksichtigt werden, gibt es in ganz Berlin nur ein einzelnes genetisches Cluster“, sagt Prof. Dr. Jörns Fickel, Leiter der Abteilung für Evolutionsgenetik am Leibniz-IZW und Seniorautor der Veröffentlichung. Es gibt also trotz erheblicher Barrieren für Igel im Stadtbild – etwa Zäune, Straßen, Gewässer oder Bahntrassen – keine genetisch isolierten Bestände in der Hauptstadt. „Diese ‚Berliner Mischung‘ hat zwei mögliche Ursachen“, sagt Koautorin Dr. Anne Berger, Wissenschaftlerin und Igelspezialistin in der Abteilung für Evolutionäre Ökologie des Leibniz-IZW. „Zum einen könnte der hohe Grünanteil in Berlin ausreichend gut verbundenen Lebensraum für Igel bieten, sodass der Austausch auch für die nur bedingt mobilen Igel möglich bleibt. Zum anderen kann die Arbeit der Igelauffangstationen in der Stadt eine wesentliche Rolle spielen, wenn Igel an anderer Stelle wieder ausgesetzt werden als sie aufgelesen wurden.“ Um dies genauer zu bestimmen regt das Autorenteam an, dass Informationen über Fund- und Aussetzorte der Igelauffangstationen systematisch erfasst werden.

Der Aufsatz ist einer von 14 Beiträgen in einer Spezialausgabe der Fachzeitschrift „Animals“, die sich mit den menschlichen Auswirkungen auf die Lebensweise von Igeln befasst. „Im jetzigen Erdzeitalter, dem Anthropozän, ist die Welt wesentlich durch den Menschen und seine Aktivitäten geprägt und die Existenz so gut wie jeder Wildtierart hängt davon ab, inwieweit sich die Individuen dieser Art mit den menschgemachten Bedingungen arrangieren können und inwieweit der Mensch genug Willen und Wissen hat, um dieser Wildtierart einen Lebensraum zu gewähren, der dessen Lebensansprüchen genügt“ sagt Berger, die die Spezialausgabe gemeinsam mit Dr. Nigel Reeve herausgegeben hat. „Im Fall des Igels weiß man zwar viel über deren natürliche Lebensweise, was aber deren Reaktionen, Anpassungsstrategien und -grenzen auf die diversen menschlichen Einflüsse sind, so steht man da eigentlich noch ganz am Anfang der Forschung. Aber gerade diese Untersuchungen sind essenziell für wirklich effektive und nachhaltige Schutzmaßnahmen für die immer stärker bedrohten Igel.“

Neben dem Beitrag zum Genfluss im Berliner Igelbestand enthält die Spezialausgabe unter anderem auch eine Untersuchung zu den Auswirkungen menschlicher Zusatzfütterung durch den Menschen auf das Winterschlafverhalten von Igeln, eine Analyse der Auswirkungen von Verkehrstoten auf die Igelpopulationen und zu Schutzmaßnahmen zur Verringerung der Straßenmortalität und damit zur Verminderung der Gefahr der räumlichen Isolierung von Igelpopulationen oder eine 17-Jahres-Retrospektive der Todesursachen wilder Igel in Portugal. „Zudem konnten wir erstmals zeigen, dass sich die nachtaktiven Igel bevorzugt durch dunkle Areale bewegen und das nächtliche künstliche Licht meiden“, so Berger über einen weiteren Aufsatz aus dem Leibniz-IZW in dem Heft. „Dieses Wissen könnte genutzt werden, um isolierte Populationen durch igelsichere und dunkle Korridore wieder miteinander zu verbinden.“ Alle Beiträge sind online frei verfügbar, können kostenlos von allen Igelschutzstationen und -helfern genutzt werden und tragen so auch wesentlich zu einem evidenzbasierten Artenschutz bei.

Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW)


Originalpublikation:

Barthel LMF, Werner D, Schmidt A, Berger A, Hofer H, Fickel J (2020): Unexpected gene-flow in urban environments: The example of the European Hedgehog. Animals, 10(12), 2315;

https://doi.org/10.3390/ani10122315