Wie Kollagen an seinen Wirkungsort gelangt
Nahezu alle Organismen mit mehr als einer Zelle brauchen Kollagen, das ihren Körper zusammenhält. Bei manchen Säugetieren macht es bis zu 30 Prozent des Körpergewichts aus. Das Kollagen – ein riesiges Protein – wird im sogenannten Endoplasmatischen Retikulum hergestellt, einem Organell innerhalb von Zellen. Dann muss es aus dem Organell und aus der Zelle herausgeschleust werden, denn es wird im Raum zwischen den Zellen im Bindegewebe gebraucht.
Für die Erkennung und den Transport des Kollagens ist eine Proteinfamilie namens TANGO1 zuständig. Die dazugehörigen Proteine sind mit mehr als 1.000 Aminosäuren sehr groß. TANGO1-Proteine durchspannen mitunter verschiedene Zellorganellen und die Zellflüssigkeit. Erkennt das TANGO1-Protein ein fertiges Kollagen, unterstützt es die Bildung einer tunnelartigen Lipidschleuse, die das Kollagen von seinem Herstellungs- an seinen Wirkungsort befördert.
Eine ganz eigene Struktur
Für diese Mechanismen verfügt TANGO1 über eine bestimmte Domäne, also einen funktionellen Bereich mit einer definierten 3D-Struktur. „Bisher hat man angenommen, dass diese Domäne ähnlich der sogenannten SH3-Struktur ist, und sie als eine Unterstruktur angesehen“, erklärt Raphael Stoll. In der aktuellen Arbeit konnten er und Oliver Arnolds jedoch mittels NMR-Spektroskopie nachweisen, dass es zwischen der Kollagenerkennungsdomäne von TANGO1 und der SH3-Domäne strukturelle Unterschiede gibt, die biochemisch so bedeutend sind, dass sie es rechtfertigen, bei TANGO1 von einer eigenen Struktur zu sprechen. Sie tauften die Kollagen-erkennende Domäne MOTH (auf Deutsch: Motte). „Der Name ist eine Abkürzung für die insgesamt vier Proteine, welche genau diese Struktur aufweisen: MIA, Otoraplin, TALI/TANGO1-Homologie“, erklärt Raphael Stoll.
Die Entdeckung der MOTH-Domäne erlaubt Einblicke in die Evolution, denn sowohl Wirbeltiere als auch Wirbellose wie Insekten brauchen Kollagen. „Die MOTH-Domäne ist evolutionär sehr alt, mehrere hundert Millionen Jahre“, so Raphael Stoll. Mit der Trennung der Wirbellosen von den Wirbeltieren hat sich die Domäne während der Evolution allerdings verändert. „Wir nehmen an, dass dies mit der Entwicklung mehrerer verschiedener Kollagene einhergeht. Während Insekten nur ein Kollagen haben, findet man beim Menschen 28 verschiedene Variationen davon. Diese Ergebnisse tragen zu einem verbesserten Verständnis des Kollagen-Exportprozesses bei und könnten sich bei zukünftigen Medikamentenentwicklungen für Fibrosen als nützlich erweisen“, so Stoll.
Ruhr-Universität Bochum
Originalpublikation:
Arnolds, O., Stoll, R. Characterization of a fold in TANGO1 evolved from SH3 domains for the export of bulky cargos. Nat Commun14, 2273 (2023). doi.org/10.1038/s41467-023-37705-4