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Blütenglanz: Aus der Ferne Lockruf, aus der Nähe Rätsel

Die Buschige Kapringelblume (Dimorphotheca sinuata) ist ein typisches Beispiel für eine glänzende Blüte.
Die Buschige Kapringelblume (Dimorphotheca sinuata) ist ein typisches Beispiel für eine glänzende Blüte. (Bild: Casper J. van der Kooi)

Die Existenz glänzender Oberflächen in der Pflanzen- und Tierwelt stellt die Wissenschaft vor ein Rätsel. Denn für eine verlässliche Kommunikation, etwa zwischen Blüte und Bestäuber, sind klare und beständige Signale von Vorteil. Glanz widerspricht diesem Prinzip, da sein Erscheinungsbild stark vom Blickwinkel und den Lichtverhältnissen abhängt und somit veränderlich ist. Diesen Widerspruch hat jetzt ein Forschungsteam an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) untersucht. Seine Studie zeigt, dass Glanz die visuelle Signalwirkung je nach Entfernung und Betrachtungswinkel des Beobachters fundamental verändert und damit sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich bringt.

In der Oberflächenstruktur liegt der Glanz

Durchgeführt wurde die Studie unter der Leitung von Dr. Johannes Spaethe am Lehrstuhl für Verhaltensphysiologie und Soziobiologie der JMU; verantwortlich dafür waren Dr. Casper J. van der Kooi, Leiter einer Forschungsgruppe an der Universität Groningen und zu dieser Zeit als Humboldt-Stipendiat Gast an der Universität Würzburg, sowie von Alexander Dietz im Rahmen seiner Masterarbeit. Die Ergebnisse seiner Untersuchungen hat das Team jetzt in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlicht.

„Der Unterschied zwischen matten und glänzenden Blüten liegt in ihrer mikroskopischen Oberflächenstruktur“, erklärt Johannes Spaethe den Hintergrund der Studie. Die meisten Blüten besitzen eine matte Oberfläche, die von unzähligen winzigen, kegelförmigen Zellen gebildet wird – beispielsweise Löwenmäulchen. Diese Struktur streut das einfallende Licht diffus in alle Richtungen. Das Ergebnis ist ein stabiles Farbsignal, das aus nahezu jedem Winkel für Bestäuberinnen und Bestäuber gleich aussieht. Im Gegensatz dazu haben glänzende Blüten, wie etwa der Hahnenfuß, flache Oberflächenzellen. Diese wirken wie winzige Spiegel, die helle, gerichtete Lichtblitze reflektieren. Diese Reflexionen können das eigentliche Farbsignal der Blütenpigmente überlagern oder sogar überstrahlen. 

Verhaltensexperimente mit künstlichen Blüten

Um die Wirkung von Glanz auf Bestäuber zu untersuchen, hat das Forschungsteam Verhaltensexperimente mit Hummeln (Bombus terrestris) durchgeführt. Mithilfe von künstlichen Blütennachbildungen, die sich nur in ihrer Oberflächenbeschaffenheit – matt oder glänzend – unterschieden, konnten sie die Reaktionen der Insekten präzise analysieren. Ihre Ergebnisse offenbaren einen fundamentalen visuellen Zielkonflikt.

„Der Vorteil glänzender Blüten ist die bessere Erkennbarkeit aus der Distanz“, erklärt Alexander Dietz. Insbesondere an der Wahrnehmungsgrenze der Hummeln, bei sehr kleinen Sehwinkeln zwischen drei und sechs Grad macht der Glanzeffekt den entscheidenden Unterschied: Glänzende Blüten waren hier für die Insekten noch sichtbar, während matte Blüten gleicher Farbe und Größe bereits nicht mehr erkannt werden konnten. Dem steht ein Nachteil entgegen: „Derselbe Glanz, der aus der Ferne lockt, erschwert die Farbwahrnehmung im Nahbereich“, schildert Casper van der Kooi. So zeigten die Experimente, dass Hummeln bei glänzenden Oberflächen signifikant größere Schwierigkeiten hatten, in der Nähe zwischen ähnlichen Farbtönen zu unterscheiden. „Die spiegelnden Lichtreflexe störten die zuverlässige Interpretation des Farbsignals“, so der Wissenschaftler.

Diese Verwechslungsgefahr hat spürbare ökologische Konsequenzen: Für die Bienen wird die Nahrungssuche an glänzenden Blüten ineffizienter, da sie mehr Zeit und Energie für die Unterscheidung der richtigen Blüten aufwenden müssen. Für die Pflanzen wiederum steigt das Risiko des sogenannten „interspezifischen Pollentransfers“ – also der Übertragung von Pollen zwischen verschiedenen Arten –, was den Fortpflanzungserfolg mindern kann. 

Mehr als nur eine Frage der Optik: Lektionen der Evolution

Was bedeutet dieser Kompromiss also für die Evolution der Pflanzenwelt? „Glanz scheint eine evolutionäre Strategie für bestimmte ökologische Bedingungen zu sein, in denen die verbesserte Sichtbarkeit aus der Ferne den Nachteil der erschwerten Farberkennung aus der Nähe aufwiegt“, sagt Johannes Spaethe. Allerdings zeigt die Studie auch, warum die Evolution bei den meisten Blüten eine matte Oberfläche bevorzugt hat: Diese gewährleistet durch eine breite Lichtstreuung ein räumlich konsistentes und damit verlässliches Farbsignal. Diese Zuverlässigkeit verbessert die Fähigkeit von Bestäuberinnen und Bestäubern, Blüten sicher zu erkennen und zu unterscheiden. 

Dieser Zielkonflikt zwischen Erkennbarkeit und Signalgenauigkeit ist übrigens nicht auf die Welt der Blüten beschränkt. „Ähnliche Prinzipien spielen auch bei der Interaktion zwischen Raubtieren und Beutetieren eine Rolle“, so Alexander Dietz. Beispielsweise behindert der Glanz von Insektenpanzern Gottesanbeterinnen und Springspinnen dabei, ihre Beute zielgenau zu verfolgen, und die Lichtblitze von Fischschuppen können die Trefferwahrscheinlichkeit von Vögeln bei einem Angriff verringern.

Universität Würzburg


Originalpublikation:

Alexander Dietz, Johannes Spaethe, Casper J. van der Kooi: Dynamic visual effects enhance flower conspicuousness but compromise colour perception. Science Advances, 26. November 2025, https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.adz9010 

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