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Kannibalismus unter marinen Bakterien – wichtige Facette des marinen Kohlenstoffkreislaufes enthüllt

Bakteriengemeinschaften attackieren Laminarin-produzierende marine Mikroalgen, Floureszenzmikroskopische Aufnahme, das Chlorophyl der Mikroalgen erscheint rot
Bakteriengemeinschaften attackieren Laminarin-produzierende marine Mikroalgen (Floureszenzmikroskopische Aufnahme, das Chlorophyl der Mikroalgen erscheint rot). © Dr. Stephanie Markert

Eine bislang unbekannte Wechselwirkungen zwischen Phytoplankton und Bakterien innerhalb des marinen Kohlenstoffkreislaufs hat eine interdisziplinäre Forschungsgruppe der Universitäten Greifswald und Bremen sowie des Max-Planck-Instituts für Marine Mikrobiologie aufgedeckt. Unter anderem konnte gezeigt werden, dass Bakterien gezielt eigene, bakterielle Biomasse, oder Nekromasse, während Phytoplanktonblüten recyceln. Die Studie liefert neue Erkenntnisse zu einem zentralen Teil des marinen Kohlenstoffkreislaufes.

Durch die Photosynthese von Algen werden erhebliche Mengen Kohlenstoff in den Ozeanen gespeichert – etwa vergleichbar viel wie durch Pflanzen an Land. Ein Großteil dieser marinen Photosynthese erfolgt während massiver Phytoplanktonblüten, bei denen Mikroalgen im großen Maßstab Biomasse, darunter verschiedenste Kohlenhydrate, produzieren. Diese können von marinen Bakterien abgebaut werden und stellen eine wichtige Energiequelle für das gesamte Nahrungsnetz der Meere dar.

Die an der Studie beteiligten Forscherinnen und Forscher untersuchen seit mehreren Jahren in einer Langzeitstudie in der Nordsee vor der Insel Helgoland die Dynamik von Mikroben-Gemeinschaften während Mikroalgenblüten. Sie wollen dadurch herausfinden, wie Bakterien mit Algen interagieren und in der Lage sind, die besonders komplexen marinen Kohlenhydratverbindungen zu verarbeiten. Ziel ist es, wichtige Mechanismen der „biologischen Pumpenfunktion“ der Meere im Zeitalter der Klimaerwärmung besser zu verstehen.

Die dynamischen Prozesse des Kohlenhydrataufbaus und -abbaus waren Gegenstand der aktuellen Studie. Zu deren wichtigsten Erkenntnissen gehört die Entdeckung, dass Algenkohlenhydrate, insbesondere deren Hauptpolysaccharid Laminarin, nicht nur direkt von Bakterien als Energiequelle genutzt werden, sondern zusätzlich zu bakterieneigenen Kohlenhydraten (Alpha-Glukane) umgewandelt werden. Diese können im Anschluss wieder anderen Bakterien als Nährstoffquelle dienen und fördern so bakterielles Wachstum und Regeneration während Phytoplanktonblüten in den Weltmeeren.

Durch die Analyse der beteiligten Proteine und Enzyme haben die Forschenden einen in der Natur weit verbreiteten Stoffwechselmechanismus identifiziert, der ein effizientes Recycling des bakteriellen Speicherpolysaccharides Alpha-Glucan aus toter bakterieller Biomasse, auch Nekromasse genannt, innerhalb mariner mikrobieller Gemeinschaften ermöglicht.

„Unsere Forschung hebt einen zuvor unerkannten Mechanismus zur Energiespeicherung innerhalb mikrobieller Populationen hervor und betont die Bedeutung des Recyclings bakterieller Nekromasse für den Erhalt der Kohlenstoffflüsse in marinen Ökosystemen. Es geht in der Natur immer um Energie. Wie an Land menschliches Glykogen oder pflanzliche Stärke nehmen bakterielle Alpha-Glukane als glukosehaltige Energiespeicher in den Ozeanen eine wichtige Rolle ein“, erklärt Prof. Dr. Thomas Schweder vom Institut für Pharmazie der Universität Greifswald und korrespondierender Autor der Studie.

Die Studie entschlüsselt zentrale Stoffwechselwege und Enzymfunktionen der Alpha-Glukan-Verwertung in marinen Bakterien und findet dabei Analogien zu ähnlichen Stoffwechselwegen in verwandten humanen Darmbakterien. Die Daten zeigen eine spezifische Aktivierung dieser bakteriellen Abbauwege durch extrahierte Alpha-Glukane der eigenen Bakterienpopulation und weisen auf ein bevorzugtes Recycling dieser Energiespeicherstoffe durch die Bakterien hin. Damit liefert die Studie ein tieferes Verständnis zu einem der energetisch bedeutendsten mikrobiellen Kohlenhydrat-Stoffwechselprozesse im Meer.

„In unserer Studie können wir erstmals zeigen, wie marine Bakterien trotz eines Überangebotes des Algen-Speicherpolymers Laminarin gleichzeitig Alpha-Glukane aus abgestorbenen verwandten Bakterien nutzen. Was wir also sehen, ist eine Art Kannibalismus innerhalb der Bakteriengemeinschaft. Dieses gezielte Recycling von bakteriellen Speicherpolysacchariden stellt wahrscheinlich einen zentralen Mechanismus zur Energieerhaltung innerhalb der Population dar, der erhebliche Mengen an Glukose-gebundenen Kohlenstoff im mikrobiellen Kohlenstoffkreislauf der Ozeane hält“, erläutert die Erstautorin der Studie, Frau Dr. Irena Beidler vom Institut für Pharmazie der Universität Greifswald.

Die Forschungsergebnisse bieten wertvolle Einblicke in die Dynamik und Anpassungsfähigkeit des Stoffwechsels bakterieller Gemeinschaften im Meer und damit einen wichtigen Puzzlestein auf dem Weg zu einem besseren Verständnis der globalen Nährstoffkreisläufe und Kohlenstoffspeicherung innerhalb mariner Ökosysteme.

Universität Greifswald


Originalpublikation:

Irena Beidler, Nicola Steinke, Tim Schulze, Chandni Sidhu, Daniel Bartosik, Marie-Katherin Zühlke, Laura Torres Martin, Joris Krull, Theresa Dutschei, Borja Ferrero-Bordera, Julia Rielicke, Vaikhari Kale, Thomas Sura, Anke Trautwein-Schult, Inga V. Kirstein, Karen H. Wiltshire, Hanno Teeling, Dörte Becher, Mia Maria Bengtsson, Jan-Hendrik Hehemann, Uwe T. Bornscheuer, Rudolf I. Amann, Thomas Schweder (2024): Alpha-glucans from bacterial necromass indicate an intra-population loop within the marine carbon cycle in: Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-024-48301-5