Dass unser Nervensystem die Entwicklung von Krebs beeinflussen kann, ist schon länger bekannt. Beispielsweise können Nervenzellen aus dem gesunden Teil des Körpers in Tumore hineinwachsen. Verschiedene Studien zeigen, dass eine solche „neurale Invasion“ meist mit einer schlechten Prognose für die Erkrankung einhergeht.
Vor etwa sechs Jahren entdeckte ein US-Forschungsteam bei Tumoren im Gehirn einen bislang unbekannten Mechanismus: Der Krebs bildet eigene Synapsen, die sich die Funktionsweise des Nervensystems zunutze machen. Prof. Ekin Demir, Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Chirurgie des TUM Klinikums, und sein Team haben diese Entdeckung aufgegriffen. Gemeinsam wollten sie herausfinden, ob auch Tumore außerhalb des Gehirns solche Strukturen bilden.
Suche nach „Tumorsynapsen“
Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs wachsen besonders häufig Nervenzellen in den Tumor, wodurch die Wahrscheinlichkeit für die Existenz von Synapsen hoch ist. Die Forschenden suchten daher in Pankreastumoren nach Anhäufungen von Rezeptoren, die auf einen der verschiedenen Neurotransmitter spezialisiert sind. Dabei stellten sie in einigen Proben eine Konzentration des NMDA-Rezeptors fest, an den der Neurotransmitter Glutamat bindet. Dann begann die letztlich erfolgreiche Suche nach den eigentlichen typischen Strukturen von Synapsen – ganz klassisch unter dem Elektronen-Mikroskop. Da es kleinere physiologische Unterschiede zu Synapsen von gesunden Zellen gibt, spricht das Team von „Pseudosynapsen“.
Kalziumwellen fördern Tumorwachstum
Welchen Vorteil haben Bauchspeicheldrüsentumore davon, die Pseudosynapsen auszubilden? Die Funktion des Pankreas wird, wie bei anderen Drüsen, über das Nervensystem reguliert. Die gesunden Zellen empfangen über eigene Synapsen je nach den Anforderungen des Körpers den Neurotransmitter Glutamat, der verschiedene Vorgänge anstößt. In diesen natürlichen Prozess schalten sich die Pseudosynapsen ein. Prof. Ekin Demir sagt: „Wenn das Glutamat an die NMDA-Rezeptoren bindet, öffnet sich ein Kanal und Kalzium strömt von außen in die Krebszelle ein. Das wiederum setzt andere molekulare Prozesse in Gang, die dafür sorgen, dass der Tumor wächst und Metastasen bildet.“ Auffallend ist dabei, dass die Zellen charakteristische langsame und langanhaltende Kalziumwellen erzeugen, die das Wachstum des Tumors nachhaltig fördern.
Dieses Wachstumsprogramm könnte aber gerade als Ansatz für neue Krebstherapien dienen. In Versuchen mit Mäusen ist es den Forschenden gelungen, die NMDA-Rezeptoren der Tumorzellen mit einem Medikament zu blockieren. Das führte dazu, dass der Bauchspeicheldrüsenkrebs langsamer wuchs, weniger Metastasen bildete und die Tiere länger überlebten. „Wir suchen aktuell mit bioinformatischen Methoden nach zugelassenen Medikamenten, die neben ihrer eigentlichen Funktion auch diese spezifischen NMDA-Rezeptoren der Pankreaskrebszellen blockieren können“, sagt Ekin Demir. „Therapien, die an der Schnittstelle zwischen Nervensystem und Tumor ansetzen, könnten in Zukunft völlig neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnen.“ Die Forschenden vermuten zudem, dass auch andere Arten von Tumoren Pseudosynapsen bilden, um stärker zu wachsen.
TUM
Originalpublikation:
Ren et al., “Sensory neurons drive pancreatic cancer progression through glutamatergic neuron-cancer pseudo-synapses”, Cancer Cell (2025). DOI: https://doi.org/10.1016/j.ccell.2025.09.003





