Die Pyrenäen, auf Katalanisch „Pireneus“, erstrecken sich entlang der Grenze von Frankreich und Spanien – vom Golf von Biskaya bis zum Mittelmeer. Die tiefen Täler und hohen Gipfel ziehen jedes Jahr viele Urlauber:innen an. Arka Pal, Biologe und PhD-Student in der Barton Gruppe am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), besucht die Region jedoch aus einem anderen Grund.
Er ist hier, um Löwenmäulchen (lateinischer Name: Antirrhinum) zu sammeln – eine leuchtende Pflanze, die, wenn man sie zusammendrückt, einem geöffneten Löwenmaul ähnelt. In seiner neuesten Publikation hebt Pal gemeinsam mit einem internationalen Wissenschaftsteam die wichtige Rolle der Blütenfarb-Gene hervor. Diese Gene sorgen dafür, dass zwei verschiedene Löwenmäuler in mehreren Tälern in den Pyrenäen alles in allem auf Abstand bleiben, obwohl sie sich teilweise kreuzen und denselben Lebensraum besiedeln.
Löwenmäulchen sammeln
Seit 17 Jahren reisen Forschende aus der Barton Gruppe am Institute of Science and Technology (ISTA) von Klosterneuburg nach Planoles, einem spanischen Dorf auf 1.135 Metern Höhe, direkt am Río Rigat und der Grenze zu Frankreich. Von einer kleinen Hütte aus erkunden sie die atemberaubende Landschaft und machen sich auf die Suche nach Löwenmäulchen. In jeder Saison sammeln rund 20 Wissenschafter:innen über 5.000 Proben.
„Der Romantiker in mir würde sagen, wir gehen wandern“, scherzt Pal. „Aber Antirrhinum wächst am liebsten in Lebensräumen, die von Menschen gestört sind, oft an Bergstraßen. Wir ziehen also an diesen schönen Straßen in den Pyrenäen entlang und klettern sporadisch steile Hänge durch Brombeersträucher und Brennnesseln hinauf, um Löwenmäulchen zu sammeln.“
Wenn sie blühen, sind Löwenmäulchen mit ihren auffälligen gelben oder magentafarbenen Blütenblättern leicht zu erkennen. Wenn nicht, verlassen sich die Wissenschafter:innen auf die Identifizierung ihrer Laubblätter. Pal und seine Kolleg:innen dokumentieren das Wachstum der Pflanzen und deren exakte GPS-Koordinaten. Sie sammeln Blüten und Blätter zur weiteren Verarbeitung in der Hütte. Dort analysieren sie die Blütenfarbe, bestimmen den Anteil von Magenta oder Gelb und fotografieren die Blüten aus verschiedenen Perspektiven. Die Blütenblätter werden anschließend in Silikagel getrocknet, in Umschläge verpackt und zur genetischen Analyse zurück ans ISTA geschickt.
Aber was motiviert die Barton Gruppe, so viel Aufwand in die Erforschung dieser Pflanzen zu investieren? Welche tieferen Erkenntnisse liefert die Farbe eines Löwenmäulchens?
Hybridzonen – das Labor der Natur
Pal ist vor allem an Speziation interessiert – also wie verschiedene Unterarten aus einem gemeinsamen Vorfahren entstehen und sich im Laufe der Zeit voneinander trennen. Im Tal von Planoles treffen zwei Unterarten von Antirrhinum – die sich durch ihre leuchtend gelben (A. majus striatum) und magentafarbenen Blüten (A. majus pseudomajus) unterscheiden – zusammen und kreuzen sich auf natürliche Weise. Während der letzten Eiszeit waren die beiden Antirrhinum-Unterarten geografisch in verschiedenen Teilen der Pyrenäen isoliert. Als das Eis schmolz, breiteten sie sich höchstwahrscheinlich allmählich aus entgegengesetzten Richtungen entlang des Tals aus und bildeten eine sogenannte „Hybridzone“.
„Hybridzonen sind im Wesentlichen ‚natürliche Laboratorien‘, in denen man den Prozess der Artbildung und Evolution in der Natur studieren kann, indem man die Natur die Experimente für uns durchführen lässt, anstatt sie in Gewächshäusern zu kreuzen“, erklärt Pal. Die magentafarbenen und gelben Löwenmäulchen bilden einen schmalen Streifen von etwa 1 km Länge, wo sie sich kreuzen und ein Kaleidoskop von Farben hervorbringen.
Die genetische Enzyklopädie
Planoles ist nicht die einzige Hybridzone in den Pyrenäen. Eine sehr ähnliche gibt es auch 100 km weiter westlich, in der Nähe der Stadt Avellanet. Die Barton Gruppe sammelte auch dort Proben. In seiner neuesten Studie verglich Pal beide Hybridzonen, um zu verstehen, wie die Evolution sie geprägt hat. Zurück am ISTA analysierte Pal die Proben und untersuchte, ob ihre Genome identisch sind.
„Man kann sich das Genom als eine ‚Enzyklopädie von Wörtern‘ vorstellen. In dieser Enzyklopädie gibt es Milliarden von Buchstaben, aus denen Tausende von Wörtern bestehen – unsere Gene. Doch nur wenige Schlüsselwörter sind wichtig, um Arten oder Varianten voneinander zu unterscheiden“, so Pal.
„Bestäubt werden die gelben als auch die magentafarbenen Varianten von der gleichen Bienenart. Die Bienen lernen nämlich, wo sie Nektar finden können. Auf der magentafarbenen Seite besuchen sie magentafarbene Blüten, während sie auf der gelben Seite häufig gelbe Blüten aufsuchen“, fährt Pal fort. Hybride ziehen nicht so viele Bienen an, da ihnen der für das Lernen der Bienen erforderliche deutliche Farbkontrast fehlt. Sie haben dadurch eine verminderte Fitness und so auch weniger Nachkommen.
Bei Löwenmäulchen ist das entscheidende Merkmal also die Blütenfarbe. Sie zieht Bestäuber an und ist für das Überleben und die Weitergabe der Gene an die nächste Generation unerlässlich. Obwohl Löwenmäulchen viele genetische ‚Wörter‘ teilen, sind es nur einige wenige entscheidende Gene – genauer gesagt sieben –, die die Blütenfarbe bestimmen und für jede Art einzigartig bleiben. Diese Gene tragen fesselnde Namen, die an schillernde Pokémon erinnern: Rosea, Eluta, Rubia, Sulfurea, Flavia, Aurina und Cremosa.
Farbgene übertreffen Nähe
Um diesen Datensatz zu bearbeiten, setzte Pal auf das „Whole-Genomic Sequencing“ – ein Werkzeug, das häufig zur Kartierung der DNA von Menschen und anderen Tieren verwendet wird. In diesem Fall wandte der Biologe eine neuartige Sequenzierungstechnik an, die zuvor noch nicht für Antirrhinum getestet worden war. Im Gegensatz zu gut untersuchten Organismen wie Mäusen oder Arabidopsis thaliana-Pflanzen, für die mehr Genomdaten vorliegen, glich diese groß angelegte Sequenzierung von Löwenmäulchen-Genomen einem riesigen Puzzle.
„Bei unserem Vergleich der Hybridzonen in Planoles und Avallenet, stellten wir fest, dass ihre Genome sehr unterschiedlich waren, mit jeweils einzigartigen ‚Wörter‘-Mischungen. Die sieben Gene, die die Blütenfarbe steuern, waren aber in beiden Zonen identisch“, erklärt Pal. Diese Gene sind wie konsistente Schlüsselwörter.
Normalerweise erwartet man in Hybridzonen, dass benachbarte Pflanzen genetisch eng miteinander verwandt sind. Doch als die Forscher:innen die genetische Abstammung der Pflanzen zurückverfolgten, stellten sie fest, dass die Gene für die Blütenfarbe diesem Muster nicht folgten. Die sieben Gene in den gelben Löwenmäulchen aus der Planoles-Zone waren enger mit denen in den gelben Pflanzen aus der Avellanet-Zone verwandt. Dasselbe galt auch für die magentafarbenen Pflanzen.
Pals neue Studie zeigt, dass es trotz großer genetischer Unterschiede zwischen den Zonen eine gemeinsame Evolutionsgeschichte der Gene gibt, die die Blütenfarbe bestimmen – eine wichtige Erkenntnis. Farbgene tragen dazu bei, dass verschiedene Löwenmäulchen auch dann unverwechselbar und erkennbar bleiben, wenn sie in derselben Umgebung wachsen und andere Gene ihres umfangreichen Genoms gemeinsam haben.
Institute of Science and Technology Austria
Originalpublikation:
Pal, A., D. Shipilina, A. Le Moan, et al. 2025. Genealogical Analysis of Replicate Flower Colour Hybrid Zones in Antirrhinum. Molecular Ecology. DOI: 10.1111/mec.70067
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/mec.70067