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Wirkstoffe effizient in Zellen schmuggeln

Fluoreszierende weiche Kunststoffkügelchen passieren die sich verengenden Kanäle eines Biochips.
Fluoreszierende weiche Kunststoffkügelchen passieren die sich verengenden Kanäle eines Biochips. MPZPM, Salvatore Girardo

Ein neues, patentiertes Verfahren namens „Progressive Mechanoporation“ ermöglicht es, die Membranen von Zellen kurzzeitig mechanisch aufzureißen und so Medikamente oder Gene in das Innere zu bringen. Auf diese Weise können Forscherinnen und Forscher leichter als bisher neue Therapien testen.

Moderne Impfstoffe wie die gegen Sars-CoV-2 nutzen winzige Fettkügelchen, um genetische Informationen in Zellen zu bringen und so eine Immunabwehr gegen das gefährliche Virus aufzubauen. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Erlangen, Dresden und London hat nun eine ganze neue Methode entwickelt, mit deren Hilfe sich sehr effizient nicht nur Gene, sondern auch Wirkstoffe und andere Substanzen in Zellen transportieren lassen. Die Forscherinnen und Forscher vom Max-Planck-Zentrum für Physik und Medizin (MPZPM) in Erlangen und von der Technischen Universität Dresden sowie dem Institute of Cancer Research London haben die Methode „Progressive Mechanoporation“ getauft und sie jetzt im Fachmagazin „Lab on a Chip“ veröffentlicht. Zudem haben sie ein Patent eingereicht.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rund um Salvatore Girardo (Erlangen) und Jörg Mansfeld (Dresden/London) – insbesondere Ruchi Goswami und Alena Uvizil – haben einen speziellen Biochip aus einem Kunststoff gebaut, auf dem hintereinander immer enger werdende Kanäle, die mehr als zehnmal kleiner als ein menschliches Haar sind, angeordnet sind. Zellen, die durch diese Kanäle gepresst werden, strecken sich dabei immer stärker bis Löcher in der Plasmamembran entstehen. Durch diese Löcher können dann Moleküle in das Zellinnere gelangen. Haben die Zellen die Kanäle passiert, schließen sich die Löcher von alleine wieder. Die Forschenden haben gezeigt, dass das sogar mit sehr großen Proteinen funktioniert. Als Proof-of-Concept haben sie Antikörper und CRISPR/Cas9 eingesetzt, die Genschere, deren Entdeckung im letzten Jahr zu einem Nobelpreis führte.

Potenziell ein neues Routineverfahren für Krankenhäuser

„Der große Vorteil unserer Methode: Wir können bis zu 10.000 Zellen pro Sekunde durch den Chip schicken“, erklärt Salvatore Girardo, der am MPZPM die Technologieentwicklungs- und Servicegruppe Lab-on-a-Chip leitet. Gleichzeitig ist das Verfahren sehr schonend, nur wenige Zellen werden im Vergleich zu anderen Techniken geschädigt.

Mit Hilfe der Methode können etwa Pharmahersteller künftig sehr effizient Wirkstoffe testen, um neue Medikamente zu entwickeln. Zudem lässt es sich gut automatisieren. Jörg Mansfeld, der am Biotechnologischen Zentrum der TU Dresden und am Institute of Cancer Research in London eine Forschungsgruppe leitet, ergänzt: „Ich kann mir vorstellen, dass in Zukunft Krankenhäuser mit der Progressiven Mechanoporation routinemäßig Zellen von Patienten untersuchen und sogar behandeln können.“

TU Dresden


Originalpublikation:

Alena Uvizl, Ruchi Goswami, Shanil Durgeshkumar Gandhi, Martina Augsburg, Frank Buchholz, Jochen Guck, Jörg Mansfeld and Salvatore Girardo: Efficient and gentle delivery of molecules into cells with different elasticity via progressive mechanoporation. Lab on a Chip (May 2021)

https://doi.org/10.1039/D0LC01224F