Es ist ein niedliches Bild: Ein Tierbaby, das hingebungsvoll seine Milch nuckelt. Nur: bei dem Säugling handelt es sich um eine gelb-schwarz geringelte Raupe. Und bei der Milch um giftig-weißen Saft der Seidenpflanze. Kredenzt wird dieser Giftcocktail in einer Pipette durch Anja Betz, Doktorandin an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Doch die Biologin handelt nicht in böser Absicht: die Jung-Insekten lieben den giftigen Saft und suchen gezielt nach ihm. Dazu müssen sie allerdings erst ein gewisses Alter erreichen. Für Fressfeinde kann das Seidenpflanzen-Gift im Raupenkörper jedoch tödlich sein.
Die Luft ist erfüllt von blumig-würzigem Blütenduft. Darin schwingen leichte Noten von Vanille und Honig. Und viele, sehr viele, sehr farbenfrohe Schmetterlinge. Es sind Monarch-Falter. Das gleißende Licht der Keramik-Dampf-Lampen lässt ihre Flügel leuchten: Orange mit schwarzen Adern und weißgepunkteter Bordüre.
Gelb-orange ist auch die Quelle des Duftes: Die Blütenpracht der Seidenpflanze (Asclepias curassavica), einem schulterhohen Hundsgiftgewächs aus Amerika. In ihren Pflanzenadern fließt ein milch-weißer, klebriger und giftiger Pflanzensaft. Auf ihren Blättern ringeln sich grüngelbe Raupen in neongrellem Ringelsocken-Look. Es sind die Raupen der Monarchfalter, und sie ernähren sich von der Giftpflanze aus Amerika. Und zwar ausschließlich von dieser.
Forschungsprojekt und Besuchermagnet Hightech-Gewächshaus
Das Mini-Ökosystem hinter Glas ist einer der Besuchermagneten im Phytotechnikum, dem künftig größten HighTech-Forschungsgewächshaus Europas. Als Deutschlands Nr. 1 in Agrarforschung erprobt die Universität Hohenheim dort neue Ansätze für eine nachhaltigere Landwirtschaft und forscht für den Erhalt der Biodiversität. Die Monarchfalter sind Teil der biologischen Grundlagenforschung, mit der Prof. Dr. Georg Petschenka grundlegende Zusammenhänge in der Ökologie erkundet.
Ältere Raupen lieben die Giftmilch-Fütterung im Labor
Dank des Falter-Biotops stießen die Insektenforscher:innen der Universität Hohenheim nun auf neue Erkenntnisse über das komplexe Miteinander von Seidenpflanze und Monarchfalter-Raupen. Und sie widerlegten ältere Mythen über die Ernährungsgewohnheiten des Insektennachwuchses.
Deutlich wird das im Labor, wo Doktorandin Anja Betz die giftige Milch der Seidenpflanzen auf Pipetten zieht. In Video-Aufnahmen dokumentiert die Forscherin, wie begierig der Insektennachwuchs ab einem Alter von einigen Tagen die Pipette sucht, um Gift zu nuckeln.
Pflanzengift schützt lebenslang vor Fressfeinden
„Auf diese Weise bauen die Tiere einen lebenslangen Schutz vor Fressfeinden auf“, erklärt Prof. Dr. Petschenka, der die Doktorarbeit von Betz betreut. Wenn beispielsweise Vögel die Raupen oder Schmetterlinge fressen, hemmt das Gift ein lebenswichtiges Enzym, das für den Ausgleich von Natrium und Kalium in Körperzellen sorgt. Ohne diesen Ausgleich bricht die Energieversorgung der Zellen zusammen. Was selbst für größere Tiere tödlich sein kann.
Die Monarchfalter selbst haben im Lauf der Evolution einen Weg gefunden, mit dem Gift in ihrem Körper zu leben. Die leuchtenden Farben der Schmetterlings-Flügel und die grellbunten Ringel der Raupen dienen dazu, ihre Feinde zu warnen und abzuschrecken.
Frühere Forschung unterschätzte die Affinität der Raupen zum Pflanzensaft
Bislang wenig beachtet war jedoch die Gier, mit der vor allem ältere Raupen dem schützenden Pflanzensaft verfallen. Und dass sie die Seidenpflanze förmlich dafür melken: Dazu kappen die Raupen gezielt die Hauptblattader, die den meisten Milchsaft führt, und saugt sie diese geradezu aus. „Vein cutting“ bezeichnet Betz dieses Verhalten mit dem Fachausdruck.
„Eigentlich kennen wir das Anbeißen von Leitungsbahnen durch Insekten nur, um genau das Gegenteil zu erreichen: Statt Milchsaft zu suchen, wollen sie ihn vermeiden. Dazu beißen sie die Pflanzenblätter an, lassen den Saft abfließen und fressen dann gefahrlos das trockene Blattgemüse. Das ist ein Klassiker der chemischen Ökologie“, erklärt Prof. Dr. Petschenka.
Als Beispiel für diese Vermeidungstaktik nennt der Forscher der Universität Hohenheim die Raupen der Gattung Euploea. Das sind enge Verwandte des Monarchfalters, die sich ebenfalls von Seidenpflanzen ernähren, aber deren Gifte nicht speichern. „Wenn diese Raupen die Hauptblattader durchtrennen, spucken sie den Pflanzensaft sofort wieder aus.“
Caterpillar-Cats: So gierig wie Katzen auf Milch
Die Idee, dass Monarchfalter-Raupen ganz andere Ziele verfolgen, kam Prof. Dr. Petschenka und Anja Betz durch eine Beobachtung: „Uns fiel auf, dass Monarchfalter-Raupen ihre Blattmahlzeit ohne Umschweife begannen, statt einen vorläufigen Biss zu machen und das Trockenlaufen der Blätter abzuwarten. Das hat uns erst einmal misstrauisch gemacht“, berichtet Prof. Dr. Petschenka
Bestätigt sahen sich die beiden auch durch Bissspuren, bei denen kein Saft mehr an der Blattwunde zu finden war. "Wären die Bisse erfolgt, um den Saft abrinnen zu lassen, hätten wir angetrocknete Reste erwartet ", ergänzt Betz. Vielleicht waren diese Bisse also nicht dazu gemacht, um den klebrigen Giftsaft zu vermeiden – sondern um ihn zu finden. Den Beweis dafür brachten dann die Laborexperimente.
Überrascht waren die beiden allerdings dann doch, wie gierig die ältere Raupenzöglinge auf den angebotenen Giftsaft reagierten. „Wenn wir ihnen einen Tropfen reichen, tauchen die Tiere ihre Mundwerkzeuge regelrecht in die Saftperlen hinein“, berichtet Betz. „Sie wirken dann eher wie kleine Katzen, die genüsslich ihre Milch aufschlecken.“
Frisch geschlüpfte Monarchfalter-Raupen müssen den klebrigen Saft noch meiden
Für ihre Technik müssen die Raupen des Monarchfalters jedoch erst eine gewisse Größe und Kraft in den Kauwerkzeugen erreichen. „Frisch geschlüpfte Monachfalter-Raupen meiden dem Pflanzensaft. Wir vermuten, dass der dickliche Saft die kleinen Fresswerkzeuge verkleben würden, so dass die Junglarven verhungern müssten“, erläutert Betz.
Das zeigen die Baby-Raupen auch im Laborexperiment: Wenn Betz ihnen die Saft-Pipette anreicht, wenden sie sich ab. Und auch den Milchsaft-Perlen, die Betz für sie auf Blätter tropft, weichen die Tiere aus. „Für besondere Vorlieben“, so Betz, „braucht es halt doch ein gewisses Alter.“
Universität Hohenheim
Originalpublikation:
Betz Anja, Bischoff Robert and Petschenka Georg: Late-instar monarch caterpillars sabotage milkweed to acquire toxins, not to disarm plant defence, Proc. R. Soc. B.29120232721,http://doi.org/10.1098/rspb.2023.272