Die vier Gesellschaften – der Dachverband der Geowissenschaften (DVGeo), die Deutsche Mathematiker-Vereinigung (DMV), die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO) weisen vor diesem Hintergrund explizit darauf hin, dass zusätzliche finanzielle Mittel essentiell sind, aber allein nicht ausreichen. Darüber hinaus sind vielmehr weitere Maßnahmen notwendig, um optimale Rahmenbedingungen für eine zukunftsfähige Wissenschaft zu schaffen.
Gute Grundbildung, Bewertungskompetenz und Diskursfähigkeitsichern
In einer zunehmend komplexeren Welt mit schnellem Wissensfortschritt benötigen junge Menschen eine umfassende Bildung zur sachgerechten Bewertung und lösungsorientiertem Handeln – insbesondere im Bereich von Mathematik und Naturwissenschaften. Dies unter föderalen Rahmenbedingungen zu sichern, ist eine große Herausforderung. Wir fordern, dass die in der Diskussion befindlichen Förderprogramme (u. a. DigitalPakt 2.0, Qualitätsoffensive Lehrerbildung) und Maßnahmen (u. a. Bürokratie-Abbau) ohne Kompetenzgerangel und überbordende Bürokratie umgesetzt werden.
Besondere Bedeutung haben dabei für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften die Ausstattung der Schulen mit technisch adäquaten und funktionalen Laborräumen sowie eine exzellente Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften. Ihre Position zu diesem Thema haben die wissenschaftlichen Gesellschaften bereits an anderer Stelle ausführlich dargelegt: Positionspapier zur Fort- und Weiterbildung von Lehrkräften in mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern
Die Wissenschaft – aber auch die Gesellschaft – lebt vom offenen Diskurs, d. h. vom Austausch von Fakten und Argumenten sowie deren Bewertung und von der Bereitschaft, eigene Ansichten und Hypothesen weiterzuentwickeln, wenn eine veränderte Datenlage es erfordert. Daher muss es ein Ziel sein, den Schülern und Schülerinnen neben Faktenwissen auch Diskursfähigkeit und Bewertungskompetenz zu vermitteln. Dies gilt auch für den außerschulischen Bereich. Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften begrüßen daher die Aussage des Koalitionsvertrages, Wissenschaftskommunikation zum festen Bestandteil von Wissenschaft und Forschungsförderung zu machen.
Planungssicherheit verbessern
Die Aufrechterhaltung einer international konkurrenzfähigen Wissenschaft in Deutschland ist auf verlässliche und planbare Rahmenbedingungen angewiesen. Der hohe Anteil befristeter Förderzusagen erzeugt zusätzliche Unsicherheiten. Längere Projektlaufzeiten und Flexibilisierung der projektdienlichen Aufwendungen könnten hier für die Wissenschaft förderlich sein.
Die Absicht, das Tenure-Track-Programm auszubauen und die Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen zu verbessern, ist aus Sicht der mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften ein Schritt in die richtige Richtung. Er wird allerdings zu anderen Härten führen, wenn keine zusätzlichen finanziellen Mittel bereitgestellt werden. Leider enthält der Koalitionsvertrag hierzu keine Angaben.
Unklar bleibt, ob die geplante Erhöhung der DFG-Programmpauschalen auf 30 Prozent bei Neuanträgen tatsächlich zur Planungssicherheit der Forschungseinrichtungen beiträgt. Durch den vorgesehenen Finanzierungsschlüssel – 50 % der Mehrkosten trägt die DFG, jeweils 25 % Bund und Länder – werden Drittmittelgeber stärker belastet. Dies könnte zur Folge haben, dass die DFG insgesamt weniger Projekte fördern kann, was wiederum sowohl die Fördermöglichkeiten als auch die Planbarkeit wissenschaftlicher Forschungsrichtungen beeinträchtigt.
Auch der wissenschaftliche Nachwuchs ist auf verlässliche Perspektiven angewiesen – eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ist längst überfällig und muss Flexibilität erhalten. (Zur inhaltlichen Positionierung der wissenschaftlichen Gesellschaften siehe: Stellungnahme auf wissenschaft-verbindet.de).
Die wissenschaftlichen Gesellschaften begrüßen das Bekenntnis der Koalitionspartner, der Forschung mehr Freiraum zu gewähren und sie von übermäßiger Förderbürokratie zu befreien. Die vorgesehene Einführung von Bereichsausnahmen (unter anderem im Umsatzsteuergesetz und im Vergaberecht) für die Forschung ist ein wichtiger erster Schritt – dem jedoch zwingend weitere folgen müssen.
Bürokratische Hürden bestehen jedoch nicht nur im Bereich der Forschungsförderung, sondern auch in zahlreichen wissenschaftsnahen Genehmigungsverfahren. Hier gilt es, bestehende Vorschriften (auch jenseits des Förderrechtes) sehr grundlegend zu prüfen. Der Abbau von Bürokratie in diesem Bereich würde nicht nur zur spürbaren Entlastung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern beitragen und so mehr Zeit für kreative Forschungsprozesse schaffen, sondern auch die dringend notwendige Beschleunigung von Verfahren ermöglichen – etwa bei Tierversuchen oder Großexperimenten. Denn auch der Zeitfaktor ist entscheidend, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit des Forschungsstandorts Deutschland zu sichern.
Wissenschaftsfreiheit verteidigen
Sorgen machen im Kontext der Forschungsfreiheit aktuell vor allem Entwicklungen außerhalb Deutschlands. Die deutliche Hervorhebung der Freiheit von Forschung und Lehre im Koalitionsvertrag ist daher ein gutes Zeichen, dem allerdings Taten folgen müssen. Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften begrüßen es daher sehr, dass die neue Bundesregierung plant, wissenschaftlich relevante Datenbestände, deren Existenz bedroht ist, weltweit zu sichern und zugänglich zu halten.
Weltoffenheit und internationale Zusammenarbeitfördern
Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften haben sich bereits in der Vergangenheit für Weltoffenheit und internationale Zusammenarbeit ausgesprochen (siehe Statement auf wissenschaft-verbindet.de). Denn: Wissenschaft ist nicht an Ländergrenzen gebunden. Der Austausch von Ideen und Menschen mit unterschiedlichsten Hintergründen und Herangehensweisen wirkt als Triebkraft für Wissenschaft und Erkenntnis, die wir für die Bewältigung der Zukunftsaufgaben dringend benötigen.
Wir fordern, dass die neue Bundesregierung allen Bestrebungen, internationale Zusammenarbeit zu erschweren, entschieden entgegentritt und sich auch auf internationaler Ebene aktiv für die Stärkung der Wissenschaftsfreiheit und der internationalen Zusammenarbeit einsetzt.
Faktenbasierte Entscheidungen sicherstellen
Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften erwarten von der neuen Bundesregierung, dass diese gerade auch in Zeiten des Wandels ihre Entscheidungen an den technisch-wissenschaftlichen Fakten ausrichtet und nicht an politischer Opportunität.
Dies gilt auf nationaler, aber auch auf internationaler Ebene und beginnt bereits bei der Wortwahl. Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften wünschen sich von allen politischen Akteurinnen und Akteuren einen sachlichen Dialog, der die Herausforderungen der Zukunft beim Namen nennt und nicht mit Wort-Verboten arbeitet, wie dies aktuell in einigen Ländern zu beobachten ist.
Forschungsförderprogramme müssen sich – ohne ideologische Scheuklappen – an den drängenden Zukunftsfragen orientieren, zu denen unter anderem der Klimawandel, der Schutz der Biodiversität und der Lebensgrundlagen, die Versorgung mit Energie und Lebensmitteln, die Gesundheitsvorsorge und das friedliche Zusammenleben gehören.
Die mathematisch-naturwissenschaftlichen Gesellschaften betonen, dass einzelne Förderentscheidungen – wie es der Koalitionsvertrag vorsieht – wissenschaftsgeleiteten Kriterien folgen müssen.
Die Zeiten sind turbulent, die Herausforderungen groß und die Zahl der Handlungsfelder hoch. Regelbasierte und multilaterale Ansätze stehen unter Druck. Das Vertrauen in die Stabilität des politisch-gesellschaftlichen Systems und in seine Protagonistinnen und Protagonisten bröckelt. Es gilt allerdings festzuhalten, dass die Mathematik und die Naturwissenschaften zu den o.g. Zukunftsthemen entscheidende Erkenntnisse und nachhaltige Lösungsansätze anbieten.
Von der neuen Bundesregierung erwarten wir, die Umsetzung stärker voranzutreiben. In diesem Zusammenhang bringen wir gerne unsere Expertise ein.
VBIO/"Wissenschaft verbindet"